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Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn

Titel: Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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viel zu essen und zu trinken. Um neun Uhr - gegenüber den wahnsinnig frühen Stunden, zu denen sie an den Weihnachtsmorgen vergangener Jahre aufgewacht waren, ein enormer Fortschritt - kamen Brian und Tracy herunter und packten ihre Geschenke aus, während Sandra und Banks Champagner mit Orangensaft tranken und die ihrigen öffneten. Draußen lag Neuschnee wie eine schwere Decke auf den Dächern und Dachvorsprüngen der gegenüberliegenden Häuser und bildete einen dicken, unberührten Teppich auf den Straßen und Gärten.
      Banks und Sandra waren zufrieden mit ihren Geschenken; hauptsächlich hatten sie Kleidung, Bücher- oder Schallplattengutscheine bekommen sowie die unvermeidlichen Aftershaves, Parfüms und Pralinen. Brian verschwand mit seiner Gitarre schnell nach oben, und Tracy verbrachte eine Stunde im Bad, um sich für das Essen zurechtzumachen.
      Gristhorpe kam gegen Mittag an. Sie aßen um halb zwei, räumten so schnell wie möglich das Geschirr ab und schauten sich dann die Weihnachtsansprache der Queen an, die Banks so langweilig und nichtssagend wie immer fand. Den Rest des Nachmittags verbrachten die Erwachsenen plaudernd, trinkend und dösend. Kurz vor dem Abendessen riefen Banks und Sandra ihre Eltern und weit entfernt wohnende Freunde an.
      Gristhorpes ungeschulten Ohren zuliebe hatte es Banks die meiste Zeit unterlassen, Musik aufzulegen, doch am späteren Abend, nachdem Brian und Tracy in ihre Zimmer hinaufgegangen waren und die drei Erwachsenen in Ruhe zusammensaßen, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Hin und wieder hatte er an Caroline Hartley denken müssen und wollte sich diese Musik unbedingt genauer anhören. Er war sich sicher, dass sie in dem Mordfall eine Rolle spielte. Jetzt konnte er nicht länger warten. Er suchte in seiner Sammlung nach der Kassette von Vivaldi. Da war sie: das Magnificat, gemeinsam mit Laudate pueri und Beatus vir auf einem Band.
      Zuerst legte er die Platte auf, die ihm Vic Manson aus dem Labor geschickt hatte. Die vertraute Musik mit ihrem verhaltenen Anfang und der reinen, überschwänglichen Stimme weckte in ihm die Erinnerung an das, was er vor drei Tagen in Veronica Shildons Wohnzimmer gesehen hatte. Er konnte wieder die makabere Schönheit der Szene vor sich sehen: das lodernde Feuer, die Weihnachtsbeleuchtung, Kerzen, das Schaffell und die auf dem Sofa ausgestreckte Caroline Hartley. Das Blut war so dickflüssig über ihren Oberkörper gelaufen, dass es aussah, als würde sie ein Lätzchen tragen oder als wäre die Unterwäsche über ihre Brüste gerutscht. Behutsam hob er die Nadel von der Platte.
      »Das hat mir gefallen«, erklärte Sandra. »Mehr als so mancher Müll, den du sonst auflegst.«
      »Entschuldige«, sagte Banks. »Aber hör dir mal das an.«
      Er steckte die Kassette ins Tapedeck und wartete, dass die Musik begann. Sie war anders. Der Anfang war viel schwungvoller und erinnerte an den »Frühling« aus den Vier Jahreszeiten.
      »Was willst du?«, fragte Sandra.
      Banks stoppte die Kassette. »Die beiden Stücke sind vom selben Komponisten und haben denselben Titel, aber sie klingen unterschiedlich.«
      »Das kann jeder Idiot hören.«
      »Sogar ich«, fügte Gristhorpe hinzu.
      »Dann hatte Claude Ivers also Recht«, murmelte Banks zu sich selbst. Er hätte schwören können, ein Stück von Vivaldi namens Laudate pueri zu haben, aber er hatte die Musik nicht erkannt, als er sie am Tatort hörte.
      Der Text auf dem Cover gab ihm sehr wenig Informationen. Er nahm die Kassettenhülle und las sich die kurze biographische Notiz durch: Vivaldi, der wegen seines flammend roten Haares liebevoll »il prete rosso« genannt wurde, hatte die priesterlichen Weihen empfangen, konnte aber das Amt seiner angeschlagenen Gesundheit wegen nicht aktiv ausüben. Von 1703 bis 1740 hatte er am Ospedale della Pietä gelehrt, einer Art Waisenhaus mit angeschlossenem Konservatorium für Mädchen in Venedig, und war, als man keinen Chorleiter finden konnte, darum gebeten worden, geistliche Musik zu komponieren.
      Der Hüllentext ging mit einem Überblick der Karriere des Komponisten und dem Versuch weiter, die einzelnen Kompositionen zeitlich einzuordnen. Laudate pueri war wahrscheinlich für eine Beerdigung am Pietä geschrieben worden. Ein Teil des Stückes, der Wechselgesang »Sit nomen Domini«, enthüllte den liturgischen Kontext: Dieses Werk war für Begräbniszeremonien für sehr junge Kinder geschrieben worden.

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