Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
das Haus gegenüber. »Und dann gleich zweimal in zwei Tagen. Das ist wie ein Sechser im Lotto.«
Banks klopfte erneut. Schließlich wurden seine Bemühungen belohnt; eine verschwommene Gestalt kam die Treppe herab.
»Wer ist da?«, fragte Brenda.
»Polizei.«
Sie hantierte mit dem Riegel und der Kette und ließ sie herein.
»Tut mir Leid«, sagte sie und rieb mit dem Handrücken über ihre Augen. »Ich habe fest geschlafen. Muss an diesen Pillen liegen, die mir der Arzt gegeben hat.«
Sie sah furchtbar aus, fand Banks. Verfilztes und zerzaustes Haar, das mal wieder gründlich gewaschen gehörte, ein verquollenes Gesicht, fleckige Haut und rote Augen. Sie trug einen weißen Frotteebademantel und, wie man sehen konnte, nachdem sie im Wohnzimmer Platz genommen hatte, nichts darunter. Als sie sich nach vorne beugte, um eine Zigarette vom Tisch zu nehmen, öffnete sich der Bademantel ein wenig und entblößte ihre üppigen, runden Brüste. Ungeniert zog sie das Revers zusammen und ließ sich zurück in den Sessel fallen. Banks und Susan setzten sich ihr gegenüber auf das Sofa.
»Was ist?«, fragte Brenda, nachdem sie einen tiefen Zug inhaliert hatte. »Haben Sie Gemma gefunden?«
»Nein«, entgegnete Banks. »Wir kommen wegen Les.«
Sie schnaubte. »Ach, der. Tja, er ist verschwunden, und ich bin froh, dass ich ihn los bin.«
»Das habe ich gehört. Haben Sie eine Ahnung, wohin er verschwunden ist?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum haben Sie ihn rausgeschmissen, Brenda?«
»Das sollten Sie eigentlich am besten wissen. Sie haben ihn doch gestern Abend aufs Revier geschleppt, oder?«
»Wissen Sie, dass Ihre Nachbarn ihn fast gelyncht hätten?«
»Na und?«
»Brenda, jemanden derart zu beschuldigen, wie Sie es getan haben, ist gefährlich, besonders vor all den Leuten. Man weiß doch aus Erfahrung, wie die Leute reagieren, wenn es um Kinder geht. Da kennen sie keinen Spaß mehr. Es gibt Berichte darüber, dass Menschen von einem wütenden Mob in Stücke gerissen wurden.«
»Ja, ich weiß. Ich weiß genau, was die Leute mit Kinderschändern tun. Und die haben es auch nicht besser verdient.«
»Hat sich Les an Gemma vergangen? Ist es das?«
Brenda blies Rauch aus und seufzte. »Nein«, erwiderte sie. »Nein, so etwas hat er nie getan.«
»Vielleicht, wenn Sie nicht da waren?«
»Nein. Das hätte ich gewusst. Gemma hätte ...« Sie hielt inne und starrte auf die Glut ihrer Zigarette.
»Vielleicht hätte es Gemma Ihnen nicht erzählt«, gab Banks zu bedenken. »Sie haben uns selbst gesagt, dass sie ein stilles, verschlossenes Kind war. Und wenn solche Sachen passieren, haben Kinder fast immer Angst, es zu sagen.«
»Nein«, wiederholte Brenda. »Ich hätte es gewusst. Glauben Sie mir.«
Ob er ihr nun glaubte oder nicht, Banks hatte das Gefühl, mit diesen Fragen in eine Sackgasse geraten zu sein. »Was bringt Sie dann zu der Annahme, dass Les etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat?«, fragte er.
Brenda runzelte die Stirn. »Sie haben ihn zum Verhör aufs Revier gebracht, oder etwa nicht?«
»Wie kommen Sie darauf, dass es etwas mit Gemma zu tun hatte?«
»Womit denn sonst?«
»Also haben Sie es nur vermutet. Richtig?«
»Natürlich. Außer ...«
»Außer was?«
Brenda errötete und Banks bemerkte ihren verstohlenen Blick zum Fernsehapparat.
»Glauben Sie, dass es um den Einbruch in Fletchers Warenhaus ging?«
Brenda schüttelte den Kopf. »Ich ... ich weiß es nicht.«
»Hat Les mal einen Bekannten namens Carl Johnson erwähnt?«
»Nein. Er hat nie über seine Kneipenbekanntschaften gesprochen. Wenn ich ihn mal gefragt habe, wo er gewesen ist oder mit wem er zusammen war, dann hat er mir nur gesagt, ich solle mich um meine Angelegenheiten kümmern.«
»Hören Sie, es ist wichtig«, sagte Banks langsam. »Denken Sie darüber nach. Hatten Sie gestern Abend für Ihre Beschuldigungen gegenüber Les noch eine andere Grundlage als die Tatsache, dass wir ihn für eine Befragung aufs Revier geholt haben?«
»Wie?«
Banks erklärte es ihr. Brenda beugte sich vor, um ihre Zigarette auszudrücken. Diesmal hielt sie ihren Bademantel zu. »Das und die Art, wie er sich verhalten hat«, erklärte sie.
»Was meinen Sie damit?«
»Es ist schwer zu sagen. Seitdem Gemma ... also, es war nicht mehr so wie früher zwischen uns. Wissen Sie, was ich
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