Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
gekommen?«
»Keith hat mich gebracht.«
»Mitten in der Woche ist das zu spät. Du musst morgen in die Schule.«
»Es ist erst zwölf. Ich werde noch genug Schlaf kriegen.«
Da stand sie nun, fünfundvierzig Kilo geballte jugendliche Rebellion, das Gewicht auf eine Hüfte verlagert, ihr einst langes und schönes blondes Haar kurz geschnitten, in schwarzen Leggings und einem langen, beigen grobmaschigen Pullover und mit blasser, durchsichtiger Haut, die von der Kälte glühte.
»Du bist zu jung, um so lange wegzubleiben«, erklärte er.
»Oh, Mann, sei doch nicht so altmodisch. Alle bleiben heutzutage bis Mitternacht weg.«
»Was die anderen tun, interessiert mich nicht. Ich spreche von dir.«
»Bei Brian wäre es etwas anderes, oder? Er konnte immer so lange wegbleiben, wie er wollte.«
»Er musste mit den gleichen Regeln leben wie du.«
»Regeln! Ich wette, du hast keine Ahnung, was er jetzt so treibt, oder? Oder was er getrieben hat, als er noch zu Hause war. Bei ihm war das in Ordnung. Das ist wirklich ungerecht. Nur weil ich ein Mädchen bin.«
»Tracy, Liebling, die Welt ist nicht so gut, wie du denkst.«
Ihre Wangen glühten und ihre Augen funkelten gefährlich, genau wie bei Sandra, wenn sie wütend war. »Ich habe die Schnauze voll«, zischte sie. »Mir reicht es, hier zu wohnen und jedes Mal verhört zu werden, wenn ich nach Hause komme. Manchmal ist es wirklich absolut zum Kotzen, einen Polizisten zum Vater zu haben!«
Und ohne Banks die Möglichkeit einer Antwort zu geben, stürmte sie aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. Einen Moment lang stand er einfach nur fassungslos da. Ihn wunderte es nicht, dass sie so redete - schon Fünfjährige kannten solche Worte -, sondern vielmehr, dass sie sich ihm gegenüber dieser Ausdrucksweise bediente. Dann beruhigte er sich ein wenig und schüttelte langsam den Kopf. Nachdem er sich wieder hingesetzt und sein Glas genommen hatte, musste er lächeln. »Kinder ...«, dachte er laut. »Was soll man nur mit ihnen machen?« Doch obwohl er es ausgesprochen hatte, wusste er, dass Sandra Recht hatte: Das Problem bestand nämlich darin, dass Tracy kein Kind mehr war.
* IV
Brenda hatte die Tür vorher abgeschlossen, den Schlüssel innen stecken gelassen und zudem die Kette eingehängt. Als Les die Tür nicht aufbekam, konnte sie hören, wie er eine Weile mit dem Schlüsselbund hantierte und vor sich hin grummelte. Brenda setzte sich auf die oberste Stufe der Treppe und konnte seine Silhouette durch die Milchglasscheibe der Tür sehen. Er versuchte erneut, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, dann hörte sie ihn verärgert fluchen und klopfen. Sie blieb sitzen.
»Brenda«, sagte er. »Ich weiß, dass du da bist. Komm schon, Liebling, mach auf. Mit meinem Schlüssel stimmt irgendwas nicht.«
An seinem Lallen merkte sie, dass er getrunken hatte. Dann hatte die Polizei ihn also entweder nicht gefunden oder vor Schankschluss gehen lassen.
Er rüttelte an der Tür. »Brenda! Es ist scheißkalt hier draußen. Lass mich rein!«
Auf der Treppe sitzend, die Arme um sich geschlungen, ließ sie ihn einfach weiterreden.
Der Briefkastenschlitz klappte auf. »Ich weiß, dass du da bist«, rief er. »Na los, Brenda!«
Sie stand auf und ging hinab zur Tür. »Geh weg!«, zischte sie. »Ich will dich hier nicht mehr sehen. Geh!«
»Brenda!« Er kniete immer noch vor dem Briefschlitz. »Werd bitte nicht komisch, Liebling. Lass mich rein. Wir können doch darüber reden.«
»Es gibt nichts mehr zu reden. Verschwinde.«
»Wohin denn? Ich bin hier zu Hause. Das ist alles, was ich habe.«
»Geh doch wieder zur Polizei. Die haben bestimmt ein Bett für dich heute Nacht.«
Für ein paar Augenblicke war er still. Dann hörte sie draußen ein Schlurfen. Der Briefschlitz fiel zu und ging dann wieder auf. »Es war doch gar nichts, Liebling«, säuselte er. »Ein Irrtum. Die waren hinter einem anderen Kerl her.«
»Lügner.«
»Nein, ehrlich, es ging um einen anderen.«
»Was hast du mit Gemma gemacht?«
Wieder Stille, diesmal noch länger. »Wie kommst du denn auf so etwas?«, sagte er dann. »Damit hatte es doch gar nichts zu tun. Komm, lass mich rein. Es regnet. Ich hole mir eine Erkältung. Ich friere mir die Eier ab hier draußen.«
»Umso besser.«
»Brenda! Die Nachbarn gucken schon.«
»Das ist mir so was von egal.«
»Was ist
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