Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
könnte uns zumindest ein paar Hinweise geben, nach was für Menschen wir eigentlich zu suchen haben.«
»Dem kann ich nur zustimmen«, antwortete Gristhorpe. Er mochte Jenny Füller. Sie war nicht nur eine kompetente Psychologin, die ihnen schon früher bei ungewöhnlichen Fällen geholfen hatte, es war auch eine Freude, sie in der Nähe zu haben. Ein wirklich prächtiges Mädel, wie Gristhorpes Vater sich ausgedrückt hätte.
»Sollen wir Jim Hatchley von der Küste zurückbeordern?«, fragte Banks.
Gristhorpes Miene verfinsterte sich. »Möglich, dass noch eine Zeit kommt, wo wir ihn brauchen. Aber bisher geht es auch ohne ihn.« Detective Sergeant Hatchley war in einen Außenposten der Kriminalpolizei an die Küste von Yorkshire versetzt worden, und zwar größtenteils, um Platz zu machen, damit Philip Richmond befördert werden konnte. Gristhorpe hatte für Hatchley nie viel übrig gehabt, musste aber widerwillig zugeben, dass er seine Qualitäten hatte. Seiner Ansicht nach war er ein fauler; unflätiger, voreingenommener Kerl, aber sein Kopf arbeitete einigermaßen zufrieden stellend, wenn er sich einmal die Mühe machte, ihn zu benutzen. Außerdem hatte er eine ganze Reihe schmutziger Tricks auf Lager, die oft ohne große Umwege zu guten Ergebnissen führten.
Banks leerte sein Glas. »Sonst noch was?«
»Im Augenblick nicht. Morgen früh werden wir uns gleich als Erstes zusammensetzen und sehen, was sich ergeben hat. Geh lieber nach Hause und schlaf ein bisschen.«
Banks knurrte. »Ich kann vorher auch noch ein Pint trinken. In letzter Zeit ist sowieso nie jemand zu Hause.«
»Wo ist denn Sandra?«
»Im Gemeindezentrum, sie organisiert immer noch diese Ausstellung für einheimische Künstler. Ich wette, sie verbringt mehr Zeit dort als zu Hause. Und Tracy ist im Kino mit ihrem neuen Freund.«
Der besorgte Unterton in Banks' Stimme war Gristhorpe nicht entgangen. »Mach dir keine Gedanken um sie, Alan«, erwiderte er. »Tracy ist ein vernünftiges Mädchen. Sie kann auf sich selbst aufpassen.«
Banks seufzte. »Das hoffe ich.« Er deutete auf Gristhorpes leeres Glas. »Trinkst du auch noch was?«
»Warum nicht? Dann kann ich besser schlafen.«
Während Banks an die Theke ging, dachte Gristhorpe an die Nacht, die vor ihm lag. Er würde nicht nach Hause fahren. Seit Jahren hatte er im Lagerraum des Reviers ein Feldbett für Notfälle wie diesen deponiert. Heute Nacht, und vielleicht auch die folgenden zwei oder drei Nächte, würde er in seinem Büro übernachten. Aber er glaubte nicht, dass er viel Schlaf bekäme. Nicht, bis er herausgefunden hatte, was mit Gemma Scupham passiert war.
* ZWEI
* I
Früh am nächsten Morgen stand Banks mit den Milchflaschen in der Hand auf der Türschwelle seines Hauses und atmete die frische Luft ein. Es war ein herrlicher Tag: nicht eine Wolke am hellblauen Himmel und kaum Wind. Er konnte den Torfrauch in der Luft riechen, der die kühle Herbstatmosphäre zu verstärken schien und ein erster Vorbote des nahenden Winters war. Ein idealer Tag, um eine Wanderung durch die Dales zu unternehmen; das Wetter würde Dutzende Touristen in die Umgebung von Eastvale locken.
Er ging hinein und stellte die Milch in den Kühlschrank. Er konnte hören, wie Tracy oben ihre Morgendusche nahm und Sandra im Schlafzimmer hantierte und sich anzog. Als er gestern aus dem Queen's Arms zurückgekehrt war, hatten sie noch einen schönen Abend zusammen verbracht. Sandra war vor ihm nach Hause gekommen, und bevor sie ins Bett gegangen waren, hatten sie noch einen Schlummertrunk genommen und eine Ella-Fitzgerald-CD aufgelegt, die sie ihm zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Tracy kam pünktlich nach Hause, recht vergnügt, und Banks vermochte keine Veränderung zum Schlechten an ihr festzustellen, die er ihrem Freund, Keith Harrison, hätte zuschreiben können. Trotzdem, fand er, als er sich jetzt eine Tasse Kaffee einschenkte, hatte sich das häusliche Leben im Laufe des Sommers gehörig gewandelt.
Zum einen hatte Brian das Elternhaus verlassen, um am Polytechnikum in Portsmouth Architektur zu studieren. So sehr sie in den letzten Jahren auch aneinander geraten waren, vor allem wegen ihres unterschiedlichen Musikgeschmacks und der Frage, wie lange Brian wegbleiben durfte - Banks vermisste ihn. Zurück blieb Tracy, die mittlerweile so erwachsen war, dass er sie kaum noch kannte: Sie trug ihr blondes Haar kurz
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