Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Tageszeitungen hatten Gemma Scuphams Verschwinden für würdig befunden, um darüber zu berichten, so auch die Yorkshire Post. In manchen Gazetten war ihr sogar die Schlagzeile gewidmet worden. Das Foto des ernst dreinschauenden kleinen Mädchens mit dem zerzausten blonden Haar erschien unter Überschriften wie: HABEN SIE DIESES MÄDCHEN GESEHEN? Die Artikel enthielten kaum Einzelheiten, was Banks kaum überraschte, denn es waren ja leider auch nur wenige bekannt. Ein paar Texte deuteten Kritik an Brenda Scupham an, aber verleumderisch war keiner. Die meisten zeigten Mitgefühl mit der Mutter.
»Das hilft uns vielleicht ein bisschen«, sagte Gristhorpe. »Aber ich würde nicht darauf zählen. Und denkt daran, mit den Morgenzügen aus London werden die Presseleute in Scharen hier einfallen. Wir müssen vorsichtig mit dem sein, was wir verlauten lassen, sonst stecken wir, ehe wir uns versehen, bis zum Hals in Horrorstorys über satanische Rituale.« Gristhorpe stand auf, zog eine Grimasse und legte eine Hand auf seine Bandscheiben. »Wie auch immer, fahren wir fort. Wir haben Gemmas Foto in Umlauf gebracht und Susan hat es geschafft, ihre Fingerabdrücke von einem Farbkasten zu nehmen. Wir haben sie also für Vergleiche in den Akten. Während der Nacht ist nichts Neues herausgekommen. Bei den Haus-zu-Haus-Befragungen haben wir nicht mehr und nicht weniger erfahren, als zu erwarten war. Vier Leute haben ausgesagt, am Dienstagnachmittag einen parkenden Wagen vor Brenda Scuphams Haus gesehen zu haben. Von diesen vier behaupten zwei, er war schwarz, einer meinte, er war dunkelbraun, und einer, dunkelblau.« Gristhorpe hielt inne. »Daher können wir wohl davon ausgehen, dass es ein dunkler Wagen war.« Er schenkte sich Kaffee nach und nahm wieder Platz. »Was das Fabrikat angeht, haben wir noch weniger Anhaltspunkte. Alle vier Zeugen stimmen darin überein, dass es ein eher kleiner Wagen war, allerdings nicht so klein wie ein Mini, und dass er ziemlich neu aussah. Es war weder ein Kombi noch irgendein Kleinbus, also suchen wir nach einem kleinen Kompaktwagen. Einer sagte, der Wagen hätte ihn an diese japanischen Kisten erinnert, die er im Fernsehen in der Werbung gesehen hat. Es könnte sich also um ein ausländisches Fabrikat handeln. Dass keiner sich die Nummer gemerkt hatte, muss ich wohl nicht eigens erwähnen.«
»Hat jemand das Paar gesehen?«, wollte Banks wissen.
»Ja.« Gristhorpe schaute auf die Akte vor ihm. »Die Frau aus Nummer elf gab an, sie habe gerade ihre Fenster geputzt, als sie ein gut gekleidetes Paar den Weg zum Haus hinaufgehen sah. Sie sagte, die beiden hätten wie Beamte gewirkt. Ihr sei der Gedanke gekommen, dass Mrs Scupham oder ihr Freund vielleicht Probleme mit der Gesundheitsbehörde hätten.«
»Mmmh«, machte Banks. »Das überrascht mich nicht. Hat einer die beiden mit dem Kind weggehen sehen?«
Gristhorpe schüttelte den Kopf.
»Na gut«, meinte Banks, »immerhin bestätigt das Brenda Scuphams Geschichte.«
»Genau.« Gristhorpe schaute Susan Gay an, die den größten Teil der Befragung durchgeführt hatte. »Wen halten Sie für unseren verlässlichsten Zeugen?«
»Mr Carter aus Nummer sechzehn, Sir. Er hat zwar auch nicht mehr als die anderen gesehen, aber er schien sehr ernsthaft darüber nachzudenken, was er gesehen hatte. Außerdem sagte er mir, dass er ein gutes visuelles Gedächtnis habe. Nicht unbedingt ein fotografisches, aber er könne die Augen schließen und sich Szenen wieder bildlich ins Gedächtnis rufen. Er schien sorgsam darum bemüht, nichts zu erfinden. Sie wissen ja, Sir, dass viele dieser Zeugen die Dinge gerne etwas ausschmücken.«
»Welche Farbe hatte der Wagen seiner Meinung nach?«, wollte Banks wissen.
»Dunkelblau, und er war auch der Ansicht, dass es ein japanisches Modell war. Aber dieses Paar, Peterson und Brown, hat er nicht gesehen, nur den Wagen.«
»Schade«, sagte Gristhorpe. »Hat er den Wagen früher schon mal in der Nähe bemerkt?«
»Nein, Sir.«
»Glauben Sie, es würde was bringen, noch einmal mit ihm zu reden?«
»Könnte sein«, sagte Susan. »Ich werde heute noch mal bei ihm vorbeischauen. Er ist Rentner und ich habe den Eindruck, dass er einsam ist. Über ein bisschen Gesellschaft scheint er sich zu freuen. Ich hatte große Mühe, ihn beim Thema zu halten.«
Gristhorpe lächelte. »Wenn es hilft, lassen Sie ihn ruhig eine Weile schwafeln. Seien Sie nachsichtig mit ihm.
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