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Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln

Titel: Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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sein, wenn wir Durchbrüche erzielen. Verstehst du, was ich meine?«
      Banks nickte.
      »Und da ist noch eine Sache«, fuhr Gristhorpe fort. »Eine Sache, die der stellvertretende Polizeipräsident sehr deutlich als eine vorrangige Sorge dargestellt hat.«
      Banks meinte zu wissen, was nun kam, aber er hielt den Mund und ließ Gristhorpe weitersprechen.
      »Gemma Scupham ist vielleicht das erste Opfer«, sagte er, »aber es wäre möglich, dass sie nicht das letzte bleibt. Das sollten wir im Hinterkopf behalten.«
      Banks ging mit dem Kaffee in sein Büro, wo er sich eine Zigarette ansteckte, sich dann ans Fenster stellte und hinunter auf den Marktplatz schaute. Das klare Licht tauchte die Fassade der normannischen Kirche und das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes in zartes Gold. Zwei weitere Wagen waren angekommen und gerade parkte noch einer ein. Banks beobachtete, wie ein junges Paar ausstieg und sich Hand in Hand auf dem historischen Platz mit seinem verwitterten Steinkreuz umschaute. Sie sahen aus, als seien sie in den Flitterwochen. Die Kirchturmuhr schlug neun Uhr.
      Er dachte an Brenda Scupham mit ihrer erotischen Ausstrahlung und an den zappeligen Les Poole und versuchte sich vorzustellen, was für Eltern sie gewesen waren. Da Les immer im Pub oder beim Buchmacher war und Brenda zu Hause Gott weiß was tat, konnten sie nicht viel Zeit für Gemma gehabt haben. Wahrscheinlich hatten sie die ganze Zeit ferngesehen. Hatten sie mit ihr gesprochen? Mit ihr gespielt? Und hatten die beiden sie misshandelt oder gar missbraucht?
      Dann musste er an Gemma selbst denken, an das ernste Gesicht, an diese Augen, die vielleicht viel mehr und viel Schlimmeres gesehen hatten, als ihre junge Seele zu verstehen vermochte, und die jetzt möglicherweise tot in irgendeinem Graben oder einem behelfsmäßigen Grab lag. Und er musste an die Worte denken, die Gristhorpe gerade gesagt hatte. Er drückte seine Zigarette aus und griff nach dem Telefon. Jetzt war keine Zeit zum Grübeln. Es war an der Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
     
    * II
     
    Als er vom Observierungsfahrzeug zur Schule ging, hatte Banks das Gefühl, dass an diesem Morgen ein trostloser, lähmender Schleier über der Wohngegend am Ostrand von Eastvale lag. Selbst die Hunde schienen alle drinnen zu sein und die wenigen Menschen, die ihre Besorgungen machten oder Kinderwagen vor sich herschoben, hatten die Köpfe gesenkt und waren scheinbar ganz in sich versunken. Er passierte die kleinen Häuschen mit den obszönen, auf den abbröckelnden Putz geschmierten Botschaften sowie die zwei Mietskasernen, jede vierzehn Stockwerke hoch, deren Lifte, wie er wusste, wenn sie überhaupt funktionierten, nach Urin und Klebstoff stanken.
      Die Schule war ein viereckiges, rotes Backsteingebäude mit nur wenigen kleinen Fenstern. Ein hoher Maschendrahtzaun grenzte den Pausenhof ein. Banks schaute auf seine Uhr. Elf. Gemmas Lehrerin hatte versprochen, im Lehrerzimmer auf ihn zu warten.
      Er ging durch den Haupteingang, bemerkte, dass eine der Glasscheiben gesprungen war, und fragte den ersten Erwachsenen, den er sah, nach dem Weg zum Lehrerzimmer. Als er durch den Flur ging, war er erstaunt über die heitere Atmosphäre, die in dem Gebäude herrschte und die in einem auffallenden Kontrast zu seinem hässlichen Äußeren stand. Das lag wohl vor allem an den Kinderzeichnungen, dachte er, die entlang der Wände aufgehängt worden waren - keine gekonnten, professionellen Arbeiten, sondern wundervoll bunte Produkte unverbildeter Köpfe: knallgelbe Sonnen mit in alle Richtungen schießenden Strahlen, leuchtend goldene Engel und rote und grüne Strichfiguren, die Mama und Papa, Katzen und Hunde darstellten.
      Außerdem fiel ihm ein komischer Geruch in den Räumen auf, der ihn an seine eigene Grundschulzeit erinnerte. Um ihn zu identifizieren, brauchte er allerdings ein paar Augenblicke. Als er wieder wusste, was es war, musste er lächeln und entsann sich seit einer Ewigkeit zum ersten Mal wieder der glücklichen, sorglosen Zeiten, bevor die Schule eine Angelegenheit des stumpfen Lernens und der Prüfungen geworden war. Es roch nach Knete, nach dieser farbigen, weichen Masse, die er damals vergeblich zu Nilpferden oder Krokodilen zu formen versucht hatte.
      Er ging geradewegs ins Lehrerzimmer, wo eine Frau, die selbst kaum älter als eine Schülerin aussah, auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen. »Chief Inspector Banks?«, fragte sie und reichte ihm die Hand.

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