Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Sommerkurse gebe.«
»Arbeiten im Sommer?«, spöttelte Banks. »Wie schrecklich. In was für Zeiten leben wir!«
Jenny gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Das sollte doch eigentlich einer der Vorteile des Jobs sein, erinnerst du dich? Lehrer haben im Sommer frei. Aber dieses Jahr leider nicht.«
»Mach dir nichts draus. Deiner Schönheit hat es bisher nicht geschadet.«
»Oh, verbindlichsten Dank.« Jenny neigte gnädig ihren Kopf. »Und du hast dich überhaupt nicht verändert. Ehrlich, Alan, du siehst immer noch keinen Tag älter als neununddreißig aus. Wie geht's Sandra?«
»Sehr beschäftigt.«
»Oh, oh. Fühlen wir uns etwa vernachlässigt?«
Banks grinste. »So was in der Art. Aber wir sind nicht hier, um über mich zu sprechen.«
»Wie geht es eigentlich Susan Gay?« Halb offiziell hatte Jenny Susan eine Zeit lang dabei geholfen, sich auf ihren neuen Posten bei der Kriminalpolizei vorzubereiten, und dabei hatten sich die beiden ein wenig angefreundet. Sie hatten ganz unterschiedliche Charaktere, aber Jenny fiel an Susan eine Entschlossenheit und Zielstrebigkeit auf, die ihr einerseits gefielen, sie gleichzeitig aber auch beunruhigten. Wenn es ihr gelänge, Susan dazu zu bringen, etwas entspannter zu sein, dann, so glaubte sie, könnte eine ausgeglichenere und attraktivere Persönlichkeit bei ihr zum Vorschein kommen.
Banks erzählte ihr, dass es Susan gut ging, auch wenn sie immer noch etwas angespannt und kratzbürstig erschien. Danach plauderten die beiden über die Familie und gemeinsame Freunde. »Hast du schon einen Blick auf die Karte geworfen?«, fragte ihn Jenny nach kurzem Schweigen.
»Mmm. Mir ist bereits aufgefallen, dass es keine Wurst und Chips gibt. Wie ist der Croque-Monsieur?«
»Gut.«
»Dann nehme ich den. Übrigens, die Musik gefällt mir.«
Jenny spitzte die Ohren. Leise im Hintergrund sang die unverkennbare Stimme von Edith Piaf. Typisch, dass ihm das auffiel, fand sie. Allein hätte sie die Musik nur als Hintergrundberieselung wahrgenommen.
»Wein?«, fragte sie.
»Für mich nicht. Davon werde ich müde und ich muss heute Nachmittag noch eine Menge Schreibkram erledigen.«
»Es geht also um die kleine Gemma Scupham, nicht wahr?«, fragte Jenny, faltete eine korallenrote Serviette auseinander und breitete sie über ihrem Schoß aus. »Deswegen möchtest du doch meinen Rat?«
Banks nickte. »Gristhorpe ist der Meinung, du könntest uns helfen.«
»Immerhin bin ich diesmal nicht die Alibifeministin.«
»Nein. Aber ernsthaft, Jenny, kannst du uns helfen?«
»Vielleicht. Was erwartest du von mir?«
»Im Augenblick hätte ich einfach gern ein paar fundamentale Kenntnisse. Ich kann eine Menge Gründe für Verhaltensweisen nachvollziehen, über die die meisten Leute nicht mal nachdenken wollen, wie Raub, Mord oder sogar Vergewaltigung. Aber das Motiv für so etwas will sich mir nicht erschließen.«
Jenny holte tief Luft und hielt sie einen Moment an. »Okay. Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber wollen wir nicht erst bestellen?« Sie rief die Kellnerin und gab die Bestellungen auf, bat für sich gleich um ein Glas Weißwein und einen Kaffee für Banks und lehnte sich dann zurück. »Erzähl mir lieber erst die Einzelheiten«, schlug sie vor.
Banks erstattete ihr Bericht. Kurz bevor er fertig war, kam das Essen und beide griffen zu.
Als sie fertig waren, schob Jenny ihren Teller beiseite und stellte das halb volle Weinglas vor sich. Banks nahm noch einen Kaffee.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, gestand sie. »Das ist im Grunde nicht mein Gebiet.«
»Aber du kennst dich ein wenig mit sexuellen Abweichungen aus.«
»Sag mal, Alan, das klingt ja, als wäre ich pervers. Genau genommen weiß niemand, warum jemand pädophil oder Vergewaltiger oder Sadist ist. Es ist solchen Menschen nicht unbedingt klar, dass sie etwas Unrechtes tun.«
»Willst du mir erzählen, dass ein Mann, der sich sexuell an kleinen Kindern vergreift, nicht weiß, dass er etwas Unrechtes tut?«
»Kommt drauf an, was man unter unrecht versteht. Er weiß natürlich, dass er das Gesetz bricht, aber ... Er befriedigt nur Bedürfnisse, für die er nichts kann. Er hat ja nicht darum gebeten, solche Bedürfnisse zu haben. Und viele leiden außerdem unter ungeheuren Schuld- und Reuegefühlen.«
»Weil sie etwas tun, was sie nicht einmal für unrecht halten? Bei dir klingt
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