Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Hause war, und sie den Anruf deshalb an Richmond durchstellen müsse.
»Hallo?«, ertönte eine Frauenstimme in der Leitung.
Richmond stellte sich vor. »Was kann ich für Sie tun?«
»Nun«, sagte sie zögernd, »ich wollte eigentlich den verantwortlichen Beamten sprechen. Ich habe die Sondernummer gewählt, die in der Zeitung angegeben war. Aber dort hat mir der Constable gesagt, ich sollte diese Nummer anrufen, wenn ich mit Superintendent Gristhorpe sprechen will.«
Richmond erklärte die Situation. »Ich bin sicher, dass auch ich Ihnen helfen kann«, fügte er hinzu. »Worum geht es denn?«
»Na gut«, sagte sie. »Der Grund, warum ich Sie so spät anrufe, ist, dass ich es gerade erst von der Putzfrau gehört habe. Sie kommt einmal die Woche, müssen Sie wissen, jeden Samstagvormittag.«
»Was haben Sie gehört?«
»Sie sind verschwunden. Mit allem Drum und Dran. Beide. Oh, verstehen Sie mich nicht falsch, sie haben alle Rechnungen bezahlt und ich würde sagen, sie sehen nicht unbedingt haargenau so aus wie das Paar, das die Zeitungen beschrieben haben. Aber es ist doch komisch, oder? Die Leute verschwinden normalerweise nicht einfach so ohne ihre Kaution, noch dazu, wenn sie die Miete im Voraus bar bezahlt haben.«
Richmond nahm den Hörer für einen Moment vom Ohr und runzelte die Stirn. Warum ergab das alles keinen Sinn für ihn? Wurde er wahnsinnig? Hatte sich die Computerstrahlung schon bis in seine Hirngewinde gefressen?
»Von wo rufen Sie an?«, fragte er.
Sie klang überrascht. »Aus Eastvale natürlich. Aus meinem Büro. Ich arbeite immer lange.«
»Wie ist Ihr Name?«
»Patricia. Patricia Cummings. Aber ...«
»Eins nach dem anderen. Sie sagten eben, Sie rufen aus Ihrem Büro an. Was ist das für ein Büro?«
»Ich bin Maklerin. Randall and Palmer's, gleich über den Platz, gegenüber vom Polizeirevier. Jetzt...«
»In Ordnung«, erwiderte Richmond. »Ich kenne das Haus. Weshalb rufen Sie an?«
»Ich dachte, ich hätte mich klar und deutlich ausgedrückt, aber anscheinend muss man es Ihnen buchstabieren.«
Richmond grinste. »Ja, bitte. Buchstabieren Sie es.«
»Es geht um das Mädchen, das verschwunden ist, Gemma Scupham. Deshalb wollte ich mit dem verantwortlichen Beamten sprechen. Ich glaube, ich könnte etwas über das Paar wissen, das Sie suchen - die beiden, die es getan haben.«
»Ich bin sofort bei Ihnen«, antwortete Richmond und legte auf. An der Anmeldung ließ er eine Nachricht für Gristhorpe zurück, dann stürzte er hinaus auf den Marktplatz.
* FÜNF
* I
Als Banks wieder nach Westen in Richtung Fortford fuhr, zeichneten sich die Bäume vor ihm vor der untergehenden Sonne ab. Manche waren von der Ulmenkrankheit befallen und stakten wie die Skelette von Klauen aus der Erde. Fortford lag im Abenddunst, der über die Berge hinter dem Dorf einen Schleier breitete. Der Dunst dämpfte das satte Grün der Wiesen in den Talsohlen und ließ das Braun und Grau der höher gelegenen Weiden blasser erscheinen.
Banks fuhr in das Dorf hinein, vorbei an der Dorfwiese zu seiner Linken, wo eine Gruppe älterer Einheimischer auf einer Bank unterhalb des teilweise ausgegrabenen, auf der runden Anhöhe gelegenen römischen Forts saßen und plauderten. Der Rauch aus ihren Pfeifen zog langsam in die dunstige Abendluft.
Eine Atmosphäre wie an einem Sommerabend, dachte Banks und fragte sich, wie lange das herrliche Wetter wohl noch anhalten würde. Den Vorhersagen zufolge allerdings nicht mehr lange. Aber wenigstens konnte er jetzt noch mit offenem Fenster fahren und die frische Luft genießen, wenn sie nicht gerade vom modrigen Geruch der gedüngten Felder durchdrungen wurde. Manchmal zogen aber auch andere Gerüche wie der beißende Qualm verbrannter Gartenabfälle herein. Er hörte Gurneys »Préludes« und hatte das Gefühl, dass die Klaviermusik die gleiche karge Schönheit wie die Lieder besaß; sie trug die unverkennbare Handschrift Gurneys und war in der Art, wie sie dem Chaos Momente der Ordnung abrang, herzzerreißend.
An der Kreuzung bei dem weiß getünchten Pub aus dem sechzehnten Jahrhundert bog er rechts in die Straße nach Lyndgarth ein. Weit vor ihm, ungefähr auf halber Höhe am Berghang, konnte er Lyndgarth sehen, die um die kleine Wiese gruppierten Kalksteincottages und den gedrungenen, viereckigen Turm der St.-Mary-Kirche. Ungefähr einen halben Kilometer nördlich
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