Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Etwas anderes konnte man von einer seit mehreren Tagen unbenutzten Wohnung auch nicht erwarten. Dann lauschte er. Er rechnete nicht damit, Gespenster und den Widerhall der Gedanken des Toten zu hören, aber auch Wohnungen besaßen ihre Stimmen, die manchmal von vergangenem Leid oder erinnertem Lachen flüsterten. Nichts. Sein erster Eindruck war, dass es sich hier um einen zeitweiligen Ort zum Ausruhen handelte, der lediglich zum Essen und Schlafen benutzt worden war. Die wenigen Möbel sahen gebraucht aus und stammten wahrscheinlich vom Flohmarkt oder aus dem Nachlasshandel. Der Teppich war so zerschlissen, dass man kaum noch das Muster erkennen konnte. An den cremefarben gestrichenen Wänden hingen weder Fotos noch Bilder, auch waren keinerlei Bücher zu sehen, nicht einmal ein zerfledderter Bestseller.
Die Küche war einfach ein durch einen Vorhang vom Zimmer abgetrennter Bereich, in dem sich eine Herdplatte, ein Toaster und ein wenig Lagerfläche befanden. In der Spüle bemerkte Banks einige schmutzige Töpfe und Teller. Die Regale boten nicht mehr als Teebeutel, löslichen Kaffee, Zucker, Margarine und ein paar Dosen Baked Beans. Es gab keinen Kühlschrank, neben der Spüle stand eine Flasche geronnene Milch, dazu ein Stück verschimmeltes Weißbrot und drei Dosen McEwan's Lagerbier.
Das Schlafzimmer, das mit der gleichen düsteren Cremefarbe gestrichen war, war mit einem Einzelbett eingerichtet, die Laken in Unordnung, das Kissen fleckig und mit Schweiß oder Haarcreme verschmiert. Schmutzwäsche lag zu einem unordentlichen Haufen auf dem Boden getürmt.
Die Kommode enthielt Socken und Unterwäsche und im Schrank fand sich kaum mehr als ein paar karierte Hemden, Sportschuhe, ein Paar Hush Puppies, Jeans und ein Blouson. Nichts deutete für Banks darauf hin, dass Johnson seine Wohnung oder sein Bett mit jemandem geteilt hatte.
Noch nie hatte Banks eine Wohnung gesehen, die so wenig über ihren Bewohner aussagte. Natürlich ergaben sich allein aus dieser Beobachtung eine Reihe von Erkenntnissen: Johnson hatte sich eindeutig nicht für ein hübsches, sauberes, ständiges Heim interessiert; auch hatte er sich nicht viel aus Besitz oder aus Kunst und Literatur gemacht. Aber das war die Negativliste. Wofür hatte er sich also interessiert? Dafür gab es keine Anzeichen. Er schien nicht einmal einen Fernseher oder ein Radio besessen zu haben. Was tat ein Mann, wenn er nach Hause in eine solche Umgebung kam? Woran hatte er gedacht, wenn er in dem quietschenden Ohrensessel mit den abgewetzten Armlehnen saß und seine Baked Beans auf Toast futterte? War er jeden Abend ausgegangen? In einen Pub? Mit einer Freundin?
Aus seiner Polizeiakte wusste Banks, dass Carl Johnson dreißig Jahre alt war und nach ein bisschen Ärger als junger Kerl wegen »Pakistani-Klatschens« und Fußballrowdytums drei Jahre seines Erwachsenenlebens für versuchten Betrugs im Gefängnis verbracht hatte. Das war kein sehr verdienstvolles Leben gewesen und es hatte der Nachwelt anscheinend nichts von Bedeutung hinterlassen.
Die Wohnung bedrückte Banks. Er stemmte ein Fenster auf und ließ etwas frische Luft herein. In einem Zimmer auf der anderen Straßenseite konnte er ein Baby schreien hören.
Als Nächstes musste er die Wohnung gründlicher durchsuchen. Er hatte bisher keine Briefe, keinen Ausweis, keine Rechnungen und nicht einmal eine Geburtsurkunde gefunden. In der heutigen Zeit konnte doch bestimmt niemand ganz unbehelligt von jeder Bürokratie leben, oder? Banks schaute unter den Sofakissen nach, unter der Matratze, über den Türrahmen und in den hintersten Ecken der Regale in Küche und Schlafzimmer. Nichts. Wie er während seiner Zeit beim Drogendezernat gelernt hatte, bot eine Wohnung nicht viele Verstecke und die meisten waren der Polizei wohl bekannt.
Carl Johnsons Wohnung machte da keine Ausnahme. Banks fand den dicken Umschlag an die Unterseite der Spülkastenabdeckung geklebt - ein ziemlich einfallsloser Platz - und nahm ihn mit ins Wohnzimmer. Er musste darauf achten, ihn nur vorsichtig an den Kanten zu berühren. Dann legte er ihn auf den Tisch am Fenster und schlitzte eine Ecke mit seinem Taschenmesser auf, um zu sehen, was sich darin befand. Zwanzig-Pfund-Scheine. Und zwar eine ganze Menge, so wie es den Anschein hatte. Mit Hilfe des Messers versuchte er, jeden Schein einzeln vorzuziehen und das Geld zu zählen. Aber es war zu mühsam und er kam durcheinander. Geduld. Er nahm eine Tüte
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