Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Fehlgeburt herbeizuführen, an anderen, schlimmeren Tagen wünschte sie sich, von einem Bus überfahren zu werden. Das Merkwürdige aber war, dass sie sich zu keiner solchen Handlung durchringen konnte, sie konnte weder die Treppe herunterstürzen noch aus dem Fenster springen, um den Fötus los zu werden. Vielleicht lag es daran, dass sie katholisch erzogen worden war und im tiefsten Inneren glaubte, dass sowohl Selbstmord als auch Abtreibung eine Sünde waren. Sie konnte sich nicht einmal in eine heiße Badewanne setzen und Gin trinken, wie es vor einer Ewigkeit June Williams getan hatte, nachdem Billy Jackson sie geschwängert hatte (es hatte sowieso nicht geholfen, June hatte danach nur eine verschrumpelte Haut und einen fürchterlichen Kater gehabt). Nein, was auch immer passierte, man musste es geschehen lassen; es war Gottes Wille. Obwohl Brenda jetzt nicht den Eindruck hatte, dass sie damals wirklich an Gott glaubte.
Später, noch völlig benommen von den Schmerzen der Geburt, als sie Gemma zum ersten Mal sah, hatte sie sich bereits gewundert, wie solch ein seltsames Kind nur ihres sein konnte. Sofort lehnte sie das Kind ab. Natürlich hatte sie alles Notwendige getan. Sie war genauso unfähig, ihrem Kind Essen und Wärme zu verweigern, wie sich selbst vor den Bus zu werfen. Aber das war auch schon alles. Liebe hatte sie für Gemma nicht empfinden können und deshalb war es auch so sonderbar, dass sie nach dem Gespräch mit dem Reporter über ihren Verlust jetzt plötzlich Liebe empfand. Zudem fühlte sie sich schuldig, schuldig dafür, dass sie Gemma vernachlässigt hatte. Vielleicht würde sie nie wieder die Chance haben, es gutzumachen.
Sie schenkte sich noch einen Gin ein. Vielleicht würde der Alkohol sie darüber hinwegbringen. Dieses Schuldgefühl war vor allem dafür verantwortlich gewesen, dass sie Gemma weggegeben hatte. Die Schuld und Angst. Die Sozialarbeiter, ob sie nun echt waren oder nicht, hatten mit ihrer Behauptung, sie habe ihre Tochter misshandelt, Recht gehabt und besonders der Zeitpunkt ihres Besuches war ihr unheimlich erschienen. Auch wenn Brenda ihre Tochter vernachlässigt haben mochte, bis wenige Tage vor diesem Besuch hatte sie Gemma nie, aber auch wirklich nie geschlagen. Und selbst bei dieser Gelegenheit hatte sie Gemma eigentlich nicht geschlagen. Doch als der Mann und die Frau mit ihrer vornehmen Ausdrucksweise und ihrer gut sitzenden Kleidung vor der Tür standen, hatte sie irgendwie das Gefühl gehabt, dass sie auf einen Anruf hin erschienen waren. Sie waren entweder ihre Strafe oder ihre Rettung; was von beiden, konnte sie damals nicht sagen.
Gemma hatte Les wütend gemacht. Als sie Tusche auf die Wettseite seiner Zeitung schüttete, rächte er sich, und zwar nicht mit körperlicher Gewalt, sondern so, wie er es immer machte: indem er sie nämlich dort traf, wo es ihr am meisten wehtat, indem er ein paar ihrer Malbücher zerriss und wegwarf. Danach hatte er während des gesamten Nachmittags furchtbare Laune gehabt, er piesackte Brenda, nörgelte herum und suchte Streit. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte Gemma dagesessen und sie beide mit bösen Blicken bedacht. Sie hatte kein Wort gesagt, keine Träne vergossen, aber die anklagenden und verletzten Blicke waren zu viel gewesen. Schließlich packte Brenda sie am Arm und schüttelte sie, bis sie zu weinen begann, dann ließ sie von ihr ab und sah ihr hinterher, wie sie nach oben in ihr Zimmer rannte, wahrscheinlich, um sich auf ihr Bett zu werfen und sich in den Schlaf zu weinen. Sie hatte Gemma so fest geschüttelt, dass es blaue Flecken auf dem Arm hinterlassen hatte. Und als die Sozialarbeiter kamen, hatte Brenda das Gefühl, dass die beiden nicht nur wussten, dass sie an diesem Tag ihre Beherrschung verloren hatte, sondern dass sie, falls es erneut passieren sollte, Gemma so lange schütteln könnte, bis sie ihr Kind getötet hätte. Das war dumm, denn sie konnten es natürlich nicht wissen, aber genau dieses Gefühl hatte sie damals gehabt.
Und das war der Grund, warum sie Gemma so leichtfertig weggegeben hatte: Sie wollte sie schützen. Oder wollte sie sie nur loswerden? Brenda war sich immer noch nicht ganz darüber im Klaren, die verworrenen Gefühle über die ganze Angelegenheit saßen wie ein Knoten tief in ihrer Brust; und sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte den Knoten nicht lösen und die einzelnen Gefühle untersuchen, wie es ihrer Vermutung nach die meisten Menschen taten.
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