Inspector Alan Banks 06 Das verschwundene Lächeln
Türen. Kinder spielten Cricket und droschen den Ball mit der flachen Hand gegen Male, die sie mit Kreide auf die Mauern gezeichnet hatten, sodass sie sehr langsam fahren musste, da ihr jeden Moment ein unvorsichtiger Spieler auf der Jagd nach einem Abpraller vor den Wagen zu laufen drohte. In den Schaufenstern einiger Läden hingen Plakate auf Hindi. Eines, wahrscheinlich ein Werbeposter für einen neu im Handel erhältlichen Videofilm, zeigte eine Frau mit goldener Haut, die offenbar ohnmächtig in die Arme eines indischen Prinzen fiel. Außerdem roch sie die fremden Düfte in der Luft: Kümmel, Koriander, Kardamom.
Unter den Augen einer Gruppe Kinder auf der anderen Straßenseite kam sie schließlich holpernd vor dem Haus Nummer sechs zum Stehen. Es gab keine Gärten, jenseits des Randsteins verlief nur ein zerfurchter Gehsteig, der direkt an die geschlossene Häuserzeile grenzte. Die roten Ziegelsteine waren über die Jahre dunkel geworden, in den Genuss einer Sandstrahlreinigung wie die Stadthalle war dieses Viertel nie gekommen. Wie in jeder anderen nördlichen Stadt gab es auch in Bradford neuen Wohnungsbau; dieser Stadtteil jedoch, die Heimat der Johnsons, war vor dem Krieg erbaut worden und anders als auf dem Land bedeutete hier alt keineswegs beschaulich. Dennoch handelte es sich nicht um einen wirklichen Slum, es gab keine Anzeichen für bittere Armut. Als sie aus der Wagentür schaute und sich umsah, fielen Susan die individuellen Noten einiger Häuser auf: ein verzierter Messingtürklopfer an einer hellroten Tür, ein Mansardenfenster am Dach eines Hauses, Doppelverglasung bei einem anderen.
Tief Luft holend, klopfte Susan an. Obwohl die Johnsons ihrem Besuch zugestimmt hatten, war ihr klar, dass sie sie in ihrem Kummer stören würde. Egal, was die Polizeiakte über den verstorbenen Carl aussagte, für sie war er ein Sohn, der brutal ermordet worden war. Wenigstens war sie nicht diejenige, die diese Nachricht überbringen musste. Das hatte die Polizei von Bradford bereits getan. Sie bemerkte, dass die Vorhänge im ersten Stock zugezogen waren, ein Zeichen dafür, dass es einen Todesfall in der Familie gegeben hatte.
Eine Frau öffnete die Tür. Susan schätzte sie auf Ende fünfzig und für dieses Alter hatte sie sich gut gehalten. Sie hatte eine ansehnliche Figur, rot gefärbte, dauergewellte Haare und war dezent geschminkt, um ein paar Falten zu verdecken. Sie trug eine weiße Bluse, die in einen schwarzen Rock gesteckt war. Eine Brille hing an einer Schnur um ihren Hals.
»Kommen Sie herein, meine Liebe«, sagte sie, nachdem sich Susan vorgestellt hatte. »Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Durch die Eingangstür gelangte man direkt in ein kleines Wohnzimmer. Die Möbel waren alt und abgewetzt, aber alles war sauber und gepflegt. Ein gerahmter Druck von einer weißen Blume, die in einer Vase vor einer Bergkette in verschiedenen Blautönen stand, erhellte die Wand gegenüber dem Fenster, das gerade genug Sonnenlicht hereinließ, um die Holzflächen der Anrichte zum Glänzen zu bringen. Mrs Johnson bemerkte Susans Blick auf das Bild.
»Ein Druck von Hockney«, erklärte sie stolz. »Wir haben ihn im Fotografiemuseum gekauft, als wir uns seine Ausstellung angeschaut haben. Das Bild verleiht dem Zimmer ein wenig Atmosphäre, nicht wahr? Hockney ist ein Künstler aus der Gegend, müssen Sie wissen.« Ihr Akzent klang irgendwie aufgesetzt.
»Ja«, antwortete Susan. Sie erinnerte sich, dass Sandra Banks ihr einmal von David Hockney erzählt hatte. Auch wenn er einer von hier war, so lebte er doch mittlerweile am Meer im Süden Kaliforniens in einer ganz anderen Umgebung als Bradford. »Es ist sehr schön«, fügte sie hinzu.
»Finde ich auch«, sagte Mrs Johnson. »Ich hatte immer ein Auge für gute Gemälde. Manchmal denke ich, wenn ich mich damit beschäftigt hätte und nicht...« Sie schaute sich um. »Na ja, jetzt ist es zu spät dafür, nicht wahr? Eine Tasse Tee?«
»Ja, gerne.«
»Setzen Sie sich doch, meine Liebe. Es dauert nur einen Augenblick. Mein Mann ist nur kurz in den Laden gegangen. Er ist gleich wieder zurück.«
Susan setzte sich in einen der dunkelblauen Sessel. Er war mit einem samtigen Stoff bezogen, der sich an ihren Fingerspitzen unangenehm anfühlte, sodass sie ihre Hände auf dem Schoß faltete. Auf dem Kaminsims tickte eine Uhr. Daneben standen ein paar Postkarten von sonnigen Stränden sowie drei Kondolenzkarten, die vermutlich
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