Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
schmalen Holzdach, an der in früheren Zeiten der Sarg auf die Ankunft des Geistlichen wartete. »Siebzehntes Jahrhundert«, sagte Rebecca. »Wunderschön, nicht wahr?«
Banks stimmte ihr zu.
»Jetzt befinden wir uns auf dem Hauptweg«, erklärte Rebecca.
Er war ungefähr anderthalb Meter breit und hatte eine grobkörnige Teerdecke. Der Weg wand sich leicht an der Kirche vorbei und war von den Eingangstüren nur durch einen Grasstreifen getrennt, über den ein schmaler Pfad aus Steinplatten führte.
»Der Hauptweg führt zur North Market Street«, fuhr Rebecca fort. »Er mündet auf die Straße nahe dem Zebrastreifen, den Deborah überqueren musste, um nach Hause zu gehen. Und über diesen Pfad«, verkündete sie, nahm Banks am Ellbogen und lenkte ihn nach rechts, wo der Eingang zu dem Pfad fast ganz von Sträuchern verdeckt war, »gelangt man zum Inchcliffe-Mausoleum.«
Es war der Kiesweg, an den sich Banks vom letzten November erinnerte. Nach ein paar Metern wurden die Sträucher von Eiben und mit Moos bedeckten Gräbern abgelöst. Das warme Sonnenlicht strahlte durch das Laub, und zwischen Löwenzahn und Vergissmeinnicht flogen summende Insekten umher.
Die meisten Gräber waren ebenerdig und hatten schwere Platten, in die blumige, religiöse Inschriften gemeißelt waren. Das bei weiten beeindruckendste und verschnörkeltste von allen Grabmälern war das Inchcliffe-Mausoleum auf der rechten Seite.
»Gut«, sagte Banks, »wir nehmen an, dass Deborah in dem Moment, als sie die Kreuzung zwischen dem Hauptweg und diesem Pfad erreicht hatte, entweder von jemandem gepackt und hierher geschleppt oder aber überredet worden ist, freiwillig mitzugehen.«
»Aber warum kann sie nicht von allein hier entlanggegangen sein?«, fragte Rebecca.
»Warum sollte sie? Das ist nicht ihr Weg.«
»Früher ist sie manchmal hier entlanggegangen. Ich habe sie ein paar Mal dabei beobachtet.«
Banks hob die Augenbrauen. »Das haben Sie nie erwähnt.«
Rebecca zuckte mit den Achseln. »Sie haben nicht danach gefragt. Und es schien mir nicht wichtig zu sein.«
»Aber kam Ihnen das nicht merkwürdig vor?«
»Nein. Tut mir Leid. Ich habe dem keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich habe wohl einfach angenommen, dass sie Friedhöfe mag, genau wie ich. Und hier befinden sich die interessantesten alten Grabmale und natürlich das Inchcliffe-Mausoleum.« Sie errötete. »Vielleicht wollte sie so wie ich mit dem Engel sprechen.«
»Wann hat sie begonnen, diesen Pfad zu benutzen?«
»Keine Ahnung. Zum ersten Mal wirklich aufgefallen ist es mir erst im letzten September, als die Schule wieder anfing; aber das heißt ja noch lange nicht, dass sie vorher nicht hier entlanggegangen ist.«
»Haben Sie Deborah jemals in Begleitung gesehen? Oder jemanden, der vor oder nach ihr diesen Pfad entlanggegangen ist?«
»Nein. Das haben Sie mich damals schon gefragt, und ich hätte es Ihnen gesagt, wenn ich gesehen hätte, dass sie jemanden getroffen hat. So etwas wäre mir aufgefallen. Glauben Sie, es ist von Bedeutung, dass sie diesen Weg genommen hat?«
Banks überlegte. »Am Anfang«, erklärte er, »hatte ich die Theorie, dass Deborah - wenn ihr nicht Owen Pierce oder jemand anderes auf den Friedhof gefolgt ist, sie vom Hauptweg weggezogen und getötet hat - möglicherweise eine Verabredung mit der Person hatte, die es getan hat. Wenn Sie mir nun jedoch erzählen, Sie haben schon früher gesehen, dass Deborah diesen Pfad genommen hat, dann frage ich mich, ob sie sich genau hier verabredet hat. Beim Mausoleum. Ihre Freundin Megan Preece hat gesagt, dass Deborah eine morbide Ader hatte und Gruselgeschichten mochte. Ein Rendezvous mitten auf einem nebligen Friedhof neben einem alten Mausoleum könnte zu ihr gepasst haben.«
»Um jemanden zu treffen, den sie kannte?«
»Ja. Vielleicht einen Liebhaber. Oder jemand anderes. Wir wissen, dass Deborah ein Geheimnis hatte. Mir kam in den Sinn, dass sie sich vielleicht mit dem Menschen verabredet hat, der etwas mit ihrem Geheimnis zu tun hatte, um zu besprechen, was man tun sollte.«
»Aber was könnte sie gewusst haben, das so wichtig war?«
»Wenn wir das wüssten, dann würden wir wahrscheinlich auch wissen, wer der Mörder ist.«
»Und Sie glauben immer noch, dass sie verabredet war?«
»Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Megan hat sie nichts erzählt, aber vielleicht wollte sie es
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