Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Registrierkasse klingelte und die Woge der Gespräche und des Gelächters schwoll an und ab. Er meinte, von draußen ein entferntes Donnergrollen zu hören, die Spannung vor einem Gewitter zu spüren; in der Luft lag dieser heiße Geruch, wie der Staub, der in der Kirche verbrannte.
Nachdem die Polizei ihn freigelassen hatte, war er nach Hause gegangen, hatte sich durch die Scharen der Reporter gedrängelt, war dann in seinen Wagen gestiegen und, alles hinter sich lassend, einfach losgefahren. Er hatte keine Ahnung gehabt, wohin er fuhr, auf jeden Fall nicht bewusst. Er war immer noch ganz benommen wegen des Verlaufs der Ereignisse, und zwar nicht nur wegen seiner Freilassung, sondern wegen der Tatsache, dass es jemand vorsätzlich darauf abgesehen haben musste, ihm die Morde anzuhängen.
Und wie er der Polizei gesagt hatte, war der einzige Mensch, der ihn so sehr hasste, Michelle.
Die Polizei schien sie nicht zu verdächtigen, die Beamten waren sich sicher, dass es ein Mann gewesen war. Doch Owen kannte sie besser. Er würde es ihr zutrauen. Wenn sie es nicht selbst getan hatte, dann hatte sie vielleicht jemanden dafür gewonnen, hatte ihren Sex eingesetzt, um irgendeinen armen, perversen Kerl zu manipulieren. Denn das konnte sie verdammt gut.
Mit diesen halb ausgegorenen Gedanken, die ihm in einem Moment völlig aus der Luft gegriffen und absurd und im nächsten Moment so einleuchtend erschienen, dass sie richtig sein mussten, hatte er sich auf dem Weg nach London befunden, und jetzt trank er sich in Swiss Cottage Mut an, um Michelle persönlich zur Rede zu stellen.
Er war gespannt, was sie sagen würde, wenn er vor ihrer Tür auftauchte. Selbst wenn sie die Morde nicht eingefädelt hatte, um ihn in Misskredit zu bringen, dann hatte sie ihn bei den Zeitungen verleumdet. Das wusste er mit Sicherheit. O ja! Er freute sich schon darauf, zu hören, wie sie sich rechtfertigen wollte.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«
»Wie bitte?« Es war der Mann neben ihm. Er hatte seinen Kopf in Owens Richtung gedreht.
»Ich habe gefragt, ob alles in Ordnung ist.«
»Ja, ja ... bestens.« Owen wurde klar, dass er Selbstgespräche geführt haben musste. Der Mann sah ihn misstrauisch an und wandte sich wieder ab.
Zeit, zu gehen. Es war neun Uhr. Welcher Wochentag war heute? Dienstag? Mittwoch? Spielte das wirklich eine Rolle? Sie war bestimmt zu Hause. Menschen, die einer regelmäßigen Arbeit nachgingen, blieben in der Woche abends für gewöhnlich zu Hause; jedenfalls gingen sie nicht lange aus.
Er fand das Telefon, daneben hing ein Telefonbuch mit abgegriffenen Seiten. Einige Seiten waren herausgerissen oder mit Filzstiften verunstaltet worden, aber nicht diejenige, auf die es ankam. Er fuhr mit seinem Finger die Spalte hinab, bis er zu ihrem Namen kam: Chappel. Kein Vorname, nur die Initialen: M. E. - Michelle Elizabeth. Da stand ihre Nummer.
Als er in seiner Tasche nach Münzen suchte, zog sich sein Brustkorb zusammen. Ihm wurde schwindelig und er musste sich einen Moment an die Wand lehnen, bevor er die Nummer wählte. Zwei Männer gingen auf dem Weg nach draußen an ihm vorbei und sahen ihn komisch an. Als sie weg waren, holte er ein paar Mal tief Luft, um sich zu beruhigen, nahm den Hörer ab, warf eine Münze ein und wählte. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal, viermal, und beim fünften Klingeln meldete sich eine ziemlich gereizte Frauenstimme: »Ja, wer ist da?«
Es war ihre Stimme. Kein Zweifel. Owen würde diesen schrillen Ton mit dem leichten, mädchenhaften Lispeln unter Tausenden erkennen.
Er hielt den Hörer weg und hörte sie die Frage etwas lauter wiederholen: »Wer ist da?«
Nachdem er immer noch nichts erwiderte, sagte sie: »Perverses Arschloch!«, und legte dann auf.
Einen Moment lang schaute Owen den Hörer an, lächelte dann und ging hinaus in das aufziehende Gewitter.
* III
John Spinks schien nicht besonders überrascht zu sein, sich an diesem Abend kurz nach Einsetzen der Dunkelheit erneut im Eastvaler Polizeirevier wiederzufinden. Wie vorhergesehen war er im Swainsdale-Center gerade dabei gewesen, vor seinen Kumpels damit zu prahlen, das Wochenende im Gefängnis verbracht und vor dem Schiedsgericht den großen Mann markiert zu haben. Das Erscheinen zweier kräftiger, uniformierter Beamter machte seine Geschichten nur noch glaubwürdiger, und er hatte die Lacher auf seiner Seite, erzählten die Beamten Banks, als er seine
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