Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
gedacht, ein so pedantischer Englischlehrer wie Sie würde vorsichtiger mit seinen Redewendungen umgehen.«
»Ja, nun, ich bin durcheinander.«
»Diese Michelle, was ist passiert?«
»Wir haben fast fünf Jahre zusammengelebt, im Sommer haben wir uns getrennt. So einfach ist das.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Sie lebt in London. In Swiss Cottage.«
»Warum haben Sie sich getrennt?«
»Warum trennt man sich?«
»Unvereinbare Differenzen?«, schlug Banks vor.
Owen lachte heiser. »Ja. Das kommt hin. Unvereinbare Differenzen. So könnte man es nennen.«
»Und wie würden Sie es nennen?«
»Das geht Sie nichts an. Aber da ist noch etwas. Es hat mit all dem hier nichts zu tun, aber wenn es hilft...«
»Ja?«
»Es geht darum, warum ich spazieren gegangen bin. Es war nämlich der Jahrestag. Der Tag, an dem ich sie kennen gelernt habe. Ich war ein bisschen geknickt, ein bisschen traurig. Wir sind immer am Fluss spazieren gegangen, bis nach St. Mary's und noch weiter, und manchmal sind wir ins Nag's Head gegangen, um etwas zu trinken. Ich habe also nur deshalb diesen langen Spaziergang gemacht, um die Erinnerung aus dem Kopf zu kriegen.«
»Waren Sie betrübt?«
»Natürlich war ich betrübt. Ich habe sie geliebt.«
»Haben Sie es aus dem Kopf gekriegt?«
»In gewissem Maße.«
»Und wie haben Sie es aus dem Kopf gekriegt?«
»Ach, das ist doch absurd. Sie haben immer nur das eine im Sinn. Es bringt nichts, weiter mit Ihnen zu reden.«
»Vielleicht, Owen. Aber Sie müssen zugeben, dass die Sache nicht besonders gut aussieht. Sie haben uns vier Mal belogen.« Er zählte die Lügen mit den Fingern auf. »Einmal damit, warum Sie spazieren gegangen sind; einmal damit, Deborah Harrison nie getroffen zu haben; einmal damit, das Mädchen auf dem Foto nicht zu kennen; und schließlich damit, nie mit jemandem zusammengelebt zu haben. Alles Lügen, Owen. Verstehen Sie, wie das für mich aussehen muss?«
»Aber das waren doch alles ... ganz harmlose Lügen. Ja, richtig, ich habe gelogen. Ich gebe es zu. Aber mehr auch nicht. Ich habe niemandem etwas angetan.«
In dem Moment klopfte es leise an der Tür, so wie Banks es vorher abgemacht hatte. Er schaltete den Kassettenrecorder aus und bat die Person herein. Inspector Stott trat ein, grüßte mit einem Nicken kurz Owen Pierce und entschuldigte sich für die Störung. Dann reichte er Banks einen Bericht und stellte sich neben die Tür.
Banks schaute sich die Papiere an, nahm sich Zeit und tat so, als würde er die Information noch nicht kennen, die sie enthielten. Als er fertig war, reichte er sie an Susan weiter. Während der ganzen Zeit war er sich Owens Unbehagen und Unruhe bewusst. Susan las den Bericht und hob die Augenbrauen. Banks fand, dass sie ein bisschen übertrieben und sich wie Ärzte verhielten, die sich gerade Röntgenaufnahmen angesehen und dabei entdeckt hatten, dass ihr Patient an einem inoperablen Tumor litt. Aber es funktionierte. Jetzt schwitzte Pierce wirklich.
Banks schaltete den Kassettenrecorder wieder an, erklärte knapp, weshalb er ihn ausgestellt hatte, und fügte hinzu, dass nun auch Detective Inspector Stott anwesend war. »Die Ergebnisse der Bluttests«, sagte er zu Owen.
»Welche Bluttests?«
»Erinnern Sie sich, dass wir Ihnen neulich Blut abgenommen haben?«
»Ja, aber ...«
»Mit Ihrer Erlaubnis.«
»Ich weiß, aber ...«
»Nun, wir haben auf Ihrem Anorak auch einen kleinen, getrockneten Blutfleck gefunden, und laut diesem Bericht, Owen, ist es Deborah Harrisons Blutgruppe und nicht Ihre. Können Sie das erklären?«
»Ich ... Ich ...«
Während Owen mühsam nach einer Erklärung suchte, schwiegen die drei Ermittler. Dann ergriff Banks erneut das Wort. »Kommen Sie, Owen«, sagte er. »Erzählen Sie es uns. Es wird Ihnen gut tun.«
Owen schlug mit der Faust auf den Tisch. »Es gibt nichts zu erzählen! Ich habe ein Mädchen gesehen. Sie hat mich angerempelt. Dann ist sie weggelaufen. Es könnte Deborah Harrison gewesen sein. Es war neblig. Ich konnte sie nicht genau erkennen. Mehr ist nicht passiert. Ich habe keine Ahnung, wie das Blut dort hingekommen ist. Sie versuchen, mich in die Enge zu treiben. Sie wollen mir Beweise unterjubeln.«
»Allmählich klingen Sie ein bisschen verzweifelt, Owen«, sagte Banks. »Sie klammern sich an Strohhalme. Warum beruhigen Sie sich nicht und erzählen
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