Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Man kann sogar sehen, wo das Licht die winzigen Haare auf ihrer Haut einfängt. Und das Bild hat eine Stimmung, eine Einheit. Sie lächelt so geheimnisvoll. Ein bisschen wie Mona Lisa. Das lässt auf ein enges Verhältnis zum Fotografen schließen.«
»Meinst du, sie hat ihn gekannt?«
Während Elgars Musik leise im Hintergrund spielte, studierte Sandra das Foto eine Weile schweigend. »Die beiden waren ein Liebespaar«, erklärte sie schließlich. »Jede Wette, die beiden waren ein Liebespaar.«
»Weibliche Intuition?«
Sandra stieß erneut ihren Ellbogen in seine Rippen. Diesmal härter. Dann gab sie ihm das Foto zurück. »Nein. Schau dir nur ihre Augen an, Alan. Das Lachen, die Art, wie sie ihn ansieht. Es liegt auf der Hand.«
Als er sich das Foto genauer anschaute, wusste Banks, dass Sandra Recht hatte. Ein Mann und eine Frau schauten sich nur dann auf diese Weise an, wenn sie miteinander geschlafen hatten oder wenn sie miteinander schlafen wollten. Er konnte nicht erklären, warum, und er hatte mit Sicherheit keinen Beweis dafür, aber genau wie Sandra wusste er es einfach. Und Barry Stott hatte gesagt, dass Pierce geleugnet hatte, die Frau zu kennen. Dann bestand die nächste Aufgabe also darin, sie zu finden und zu ergründen, warum er geleugnet hatte. Auf die ersten Laborergebnisse würde er noch warten, aber dann würde Banks selbst ein langes Gespräch mit Owen Pierce führen müssen.
* ACHT
* I
Der Mann, der am Samstagnachmittag um zwei Uhr im Verhörzimmer vor Banks saß, sah sehr verärgert aus. Banks konnte es ihm nicht verdenken. Er wäre auch sauer gewesen, wenn an seinem freien Tag zwei massige Polizisten vorbeigekommen wären und ihn auf das Polizeirevier geschleppt hätten, noch dazu am Volkstrauertag.
Aber es half nichts. Banks wäre auch lieber zu Hause geblieben und hätte sich wie jeden 11. November Brittens War Requiem angehört, aber das musste warten. Neue Infomationen waren eingetroffen. Es war für ihn an der Zeit, sich persönlich mit Owen Pierce zu unterhalten.
»Entspannen Sie sich, Owen«, sagte Banks. »Wir werden hier wahrscheinlich eine Weile miteinander verbringen; es macht also keinen Sinn, wenn Sie Ihren Blutdruck schon jetzt in die Höhe schießen lassen.«
»Warum fangen Sie dann nicht einfach an?«, entgegnete Owen. »Ich könnte meine Zeit auch angenehmer verbringen.«
Banks seufzte. »Ich auch, Owen, ich auch.« Er legte neue Bänder in den Doppelkassettenrecorder, erklärte Owen dann, dass das Gespräch aufgezeichnet werde, und diktierte die Namen der Anwesenden sowie die Zeit, den Ort und das Datum.
Susan Gay war die einzige noch anwesende Person. Sie hatte hauptsächlich eine beobachtende Rolle, aber Banks würde ihr die Möglichkeit geben, ein oder zwei Fragen zu stellen. Da bisher nur Stott und Hatchley mit Pierce gesprochen hatten, versuchten sie es nun mit einem »frischen Team«, und Banks hatte am Morgen bereits ein paar Stunden damit verbracht, die Abschriften der früheren Gespräche zu lesen.
»Na gut«, begann Banks, »zuerst möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie nichts sagen müssen. Wenn Sie aber jetzt einen Sachverhalt unerwähnt lassen, den Sie später zu Ihrer Verteidigung vorbringen, könnte der Richter zu dem Entschluss kommen, dass die Nichterwähnung des Sachverhaltes die mögliche Anklage gegen Sie erhärtet. Von diesem Gespräch wird ein Bericht angefertigt, der als Beweismittel verwendet werden kann, falls Sie vor Gericht kommen.«
Owen schluckte. »Bedeutet das, ich bin verhaftet?«
»Nein«, sagte Banks. »Das ist eine reine Formalität, damit wir alle Bescheid wissen. Mir wurde gesagt, dass Sie über Ihr Recht auf einen Anwalt informiert wurden, stimmt das?«
»Ja.«
»Und Sie haben darauf verzichtet?«
»Im Moment ja. Ich kann nur wiederholen, dass ich nichts getan habe. Weshalb sollte ich also für einen Anwalt zahlen?«
»Verstehe. Anwälte können sehr teuer sein. Na gut, Owen, können wir dann bitte noch einmal den vergangenen Montagabend durchgehen?«
Owen seufzte und erzählte genau das Gleiche, was er Stott bei den beiden früheren Gesprächen erzählt hatte.
»Und Sie hatten nie, zu keiner Zeit des Tages, Kontakt zu dem Opfer, Deborah Harrison?«
»Nein. Wie denn? Ich wusste überhaupt nicht, wer sie war.«
»Sie sind sich ganz sicher, dass Sie das Mädchen nicht getroffen haben?«
»Wie gesagt,
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