Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
uns alles?«
»Aber warum sollte ich das Mädchen umgebracht haben? Welchen Grund sollte ich denn gehabt haben? Wieso glauben Sie mir nicht?«
»Weil Sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben. Das bedeutet, Sie haben etwas zu verbergen. Und dann ist da noch etwas.«
»Was?«
»Wir haben Ihr Blut unter Deborahs Fingernägeln gefunden. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Nichts«, antwortete Owen. »Ich will einen Anwalt. Sofort. Ohne einen Anwalt sage ich kein Wort mehr.«
»Das ist Ihr gutes Recht«, meinte Banks. »Aber hören Sie mir einen Moment zu, bevor Sie noch etwas tun oder sagen. Sie werden sich wesentlich besser fühlen, wenn Sie uns einfach erzählen, was passiert ist. Und auf lange Sicht wird es günstiger für Sie sein. Als Sie Deborah Harrison auf der Brücke gesehen haben, da hat sie Sie an diese Michelle erinnert, nicht wahr? Das Mädchen, wegen dem Sie niedergeschlagen waren. Haben Sie Deborah anstelle von Michelle bestraft, Owen? Steckt das dahinter? Was hat sie Ihnen angetan?«
Owen brach den Blickkontakt ab. »Nichts«, erwiderte er. »Das sind alles reine Spekulationen. Totaler Blödsinn.«
»Sie sind ihr auf den Friedhof gefolgt und haben sie angesprochen, richtig?«, fuhr Banks ruhig fort und setzte seine Ellbogen auf den Tisch. »Vielleicht haben Sie ihr einen Fünfer angeboten, damit sie Sie arrogant abwimmelte, so dass Sie sich vormachen konnten, Sie hätten es mit Michelle zu tun. Was auch immer. Es spielt keine Rolle. Aber sie hat nicht so reagiert, wie Sie wollten. Deborah kriegte es mit der Angst zu tun. Sie zerrten sie vom Weg, hinter das Inchcliffe-Mausoleum. Dort war es dunkel und neblig und ruhig. Sie wollten sie bestrafen, nicht wahr? Wollten sie gehörig bestrafen, um ihr zu zeigen, dass sie Ihnen das nicht antun konnte, ohne ungestraft davonzukommen. Ihre ganze aufgestaute Wut machte sich Luft, nicht wahr, Owen? Was ist passiert? Kamen Sie nicht darüber hinweg? Was hat Michelle Ihnen angetan? Sie war es, die Sie erwürgt haben, nicht wahr? Warum haben Sie fälschlich behauptet, sie nicht zu kennen?«
Owen legte seinen Kopf in die Hände und stöhnte. Banks sammelte seine Papiere zusammen, stand auf und gab Stott ein Zeichen. »Owen Pierce«, sagte Stott, »auf Ihre Rechte sind Sie bereits hingewiesen worden, nun werden wir Sie verhaften. Ich möchte Sie bitten, mit mir zum Strafvollzugsbeamten zu kommen. Haben Sie mich verstanden, Owen?«
* II
Stott hatte es auf dem Weg nach unten »Vollzugsabteilung« genannt und auf dem Schild an der Tür stand »Arrestzelle«, aber für Owen war es nichts weniger als der Eingang zur Hölle. Von aller Hoffnung verlassen ...
Es handelte sich um einen höhlenartigen Raum im Keller des Eastvaler Polizeireviers, der voller Lärm und Betriebsamkeit war. Am Samstagnachmittag war in der Vollzugsabteilung immer am meisten los. Zusätzlich zu den üblichen samstäglichen Fällen von Ladendiebstahl, Rowdytum und Trunkenheit hatte Eastvale United gerade ein Heimspiel gegen den Erzrivalen aus Ripon und sowohl auf dem Spielfeld wie auch außerhalb hatte es bereits eine Menge Gewaltausbrüche gegeben.
Anscheinend war einmal versucht worden, dem Raum mit zitronengelber Farbe eine heitere Atmosphäre zu geben, mittlerweile sah der abblätternde Anstrich jedoch wie ein einziger Nikotinfleck aus. Owen saß zwischen Stott und Hatchley auf einer harten Bank gegenüber einigen erhöhten, zusammengeschobenen und am Boden befestigten Tischen, welche die gesamte Länge des Raumes wie einen Tresen säumten. Unter der Leitung des für den Vollzug zuständigen Sergeants waren hinter den Tischen ungefähr sechs oder sieben uniformierte Polizeibeamte geräuschvoll damit beschäftigt, auf Schreibmaschinen zu tippen, Formulare auszufüllen und Leute zu befragen. Der Kontrast zwischen dem spürbaren Angstgeruch und dieser glatten, bürokratischen Aktivität besaß für Owen einen ganz besonderen Schrecken und erinnerte ihn an die Notaufnahme eines Krankenhauses, wo offene Fleischwunden bluteten und hochmoderne Geräte summten und piepten.
Im Moment hing ein Betrunkener mit blutigem Gesicht über dem Tresen und trällerte dem Sergeant »Danny Boy« vor, der versuchte, seine Personalien herauszubekommen. Auf den Bänken in Owens Nähe saßen ein paar düstere Skinheads, denen die Schnürsenkel ihrer Kampfstiefel fehlten, ein Mann, der in jeder Hinsicht einem Bankangestellten glich und vielleicht, so dachte Owen,
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