Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
nicht.
»Owen«, sagte sie schließlich, »was auch immer die Wahrheit ist, Michelles Aussage ist sehr vernichtend. Sie können sich vorstellen, wie die Staatsanwaltschaft die Anklage aufbauen wird. Ein von Pornografie besessener Mann, besonders wenn junge Mädchen darin vorkommen, der auch vor sexueller Gewalt gegen Frauen nicht zurückschreckt ... Verstehen Sie, was ich sagen will?«
»Aber das ist nicht wahr!«, protestierte Owen. »Nichts davon ist wahr. Ich bin nicht von Pornografie besessen.«
Shirley hob eine Hand. »Ich prangere Sie nicht an, Owen. Ich versuche Ihnen nur deutlich zu machen, wie die Anklage die Fakten verdrehen wird, wenn sie die Möglichkeit dazu hat.«
Owen legte seine Hände auf den Tisch und starrte auf die Adern in seinen Handgelenken. »Ich habe keine Ahnung, was Sie von mir denken müssen«, sagte er mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war, »aber ich möchte, dass Sie wissen, dass ich nicht das Monster bin, für das man mich hält. Das ist eine verzerrte Sichtweise. Wenn ich nur bestimmte Dinge über Ihr Leben oder über das von jemand anderem wüsste, wenn Ihre Fantasien für alle offen lägen ... nun, ich würde mir vielleicht ein Bild machen, das falsch sein könnte. Verstehen Sie, was ich meine?«
Er hätte schwören können, ein amüsiertes Funkeln in ihren Augen und vielleicht eine leichte Röte auf ihren Wangen gesehen zu haben. »Sie müssen mich nicht für Sie einnehmen, Owen«, sagte sie. »Ich bin aus beruflichen Gründen hier. Es ist nicht meine Aufgabe, über Ihr Privatleben zu urteilen, sondern die Gegenseite zu widerlegen. Sie müssen nicht meine Zustimmung suchen.«
»Ich will aber«, erwiderte Owen. »Verdammt, ich will Ihre Zustimmung! Sie sind doch keine Maschine, oder? Sie müssen auch Meinungen und Gefühle haben.«
Shirley Castle antwortete nicht. Stattdessen schob sie ihre Papiere zurück in ihre Aktentasche. »Ich habe noch eine wichtige Frage, bevor ich gehe, Owen«, sagte sie dann. »Warum sollte Michelle tun, was sie getan hat? Warum sollte sie der Polizei diese Dinge über Sie erzählen, wenn sie nicht stimmen? Aus welchem Grund möchte sie, dass Sie ins Gefängnis kommen?«
»Aber verstehen Sie denn nicht? Michelle nutzt die Menschen aus. Sie hat mich von Anfang an ausgenutzt. Für ihre Ausbildung, um vor ihren herrischen Eltern zu fliehen, vor ihrem Wohnviertel, in ein besseres Leben. Sie hat mir ein paar Köder hingeworfen und ich habe es für Liebe gehalten. Noch jetzt fällt es mir schwer, zu glauben, dass man so lange mit einem Menschen zusammenleben kann, ohne zu begreifen, um was es ihm wirklich geht, ohne ihn überhaupt zu kennen. Aber so war es. Vielleicht wollte ich es nicht wahrnehmen. Während der ganzen Zeit, in der wir zusammen waren, hatte sie etwas mit anderen Männern, und ich muss zugeben, dass ich eifersüchtig und besitzergreifend wurde. Aber sie kümmerte sich nicht darum. Sie dachte, sie könnte sich alles erlauben und müsste sich nur für mich ausziehen und schon wäre wieder alles in Ordnung. Im Grunde ist sie ein kaltes, berechnendes Ungeheuer. Sie hat kein Gewissen. Verstehen Sie das? Manchmal erkennt man das Puzzle erst, wenn das letzte Teil eingesetzt ist. Und genau das ist in dieser letzten Nacht passiert. Das letzte Teil des Puzzles. Sie hat mich die ganze Zeit belogen, hat andere Männer getroffen und nur das gemacht, was sie wollte, und meine Wohnung - unsere Wohnung - als Schlupfloch benutzt. Am Anfang, bevor ich begann, die Wahrheit zu vermuten, habe ich ihr alle Freiheiten gegeben, die sie wollte. Schließlich war sie jung. Wie kann man die Liebe einer jüngeren Frau behalten, wenn man versucht, sie in einen Käfig zu sperren? Sobald ich wachsamer wurde, zeigten sich die Risse.«
Shirley Castle schüttelte den Kopf. »Das kann ich alles verstehen, Owen, aber es beantwortet meine Frage nicht. Warum versucht sie Ihnen so sehr zu schaden?«
»Warum? Weil ich sie ertappt habe«, antwortete Owen und erinnerte sich an den einen ruhigen Moment während des letzten Streits, in dem er begriffen hatte, wie sie wirklich war. »Weil ich sie durchschaut habe. Ich habe ihr wahres Gesicht gesehen. Und weil ich sie abgewiesen habe. Ich habe sie rausgeschmissen. Obwohl sie noch in der Nacht, nachdem sie gerade mit ihrem Freund zusammen gewesen war, nichts von mir wissen wollte, hat sie mir am nächsten Morgen ihren Körper angeboten. Aber ich habe ihn nicht genommen. Sie
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