Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel

Titel: Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
Vom Netzwerk:
bettelte, dass ich ihr vergeben und sie dableiben lassen sollte. Aber ich habe sie rausgeschmissen. Sie ist wie ein gemeines Kind, das seinen Willen nicht bekommen hat. Sie kann mir nicht verzeihen, dass ich die Wahrheit erkannt habe und die Stirn hatte, sie hinauszuwerfen, bevor sie mich verlassen konnte.«
      Shirley Castle nickte langsam. »Tja, Owen, das ist alles schön und gut«, sagte sie. »Aber zu Ihrem Besten sollten wir lieber hoffen, dass Michelle nicht in die Nähe des Zeugenstandes kommt.«
     
     

* ELF
     
    * I
     
    Das Parkett knarrte, als sich eines regnerischen Apriltages alle Anwesenden im Gerichtssaal erhoben. In der Pracht scharlachroten Moirés und weißen Leinens trat Richter Simmonds ein. Er war ein hutzeliger, alter Mann mit tief in die Runzeln und Hautfalten eingegrabenen Reptilienaugen. Bevor er Platz nahm, schaute er sich ausdruckslos im Gerichtssaal um.
      Als sich alle im überfüllten Saal wieder hinsetzten, stöhnten die Bänke. Owen fiel auf, dass der Gerichtssaal nach der gleichen Politur mit Zitrusduft roch, die seine Mutter immer benutzt hatte. Das machte ihn traurig.
      »Der Angeklagte soll sich erheben.«
      Jetzt ging es also los! Owen stand auf.
      »Sind Sie Owen Pierce?«, fragte der Protokollführer.
      »Das bin ich.«
      Dann verlas der Protokollführer die Anklageschrift und fragte Owen, für was er sich bekenne.
      »Für nicht schuldig«, antwortete Owen so fest und zuversichtlich, wie es ihm unter den Blicken aller Anwesenden möglich war.
      Während er sprach, musterte er die Geschworenen: sieben Männer und fünf Frauen, die alle wie für einen Tag im Büro gekleidet waren. Ein beleibter Mann mit Doppelkinn betrachtete ihn fast ehrfürchtig. Eine junge Frau mit Schmolllippen konnte ihm nicht in die Augen sehen, sondern schaute hinab auf ihre im Schoß gefalteten Hände. Die meisten warfen wenigstens einen flüchtigen Blick auf ihn. Manche waren nervös, andere sahen aus, als hätten sie sich bereits ein Urteil gebildet.
      Er wusste, dass es irrational war, aber er beschloss, ein Mitglied der Geschworenen als seinen Gradmesser während der Verhandlung auszuwählen, einen Menschen, an dessen Gesichtsausdruck er ablesen konnte, wie die Sache stand - für oder gegen ihn. Nicht die stirnrunzelnde Frau in dem puderblauen Kostüm oder den Kerl, dem die Haare ausgingen und der ihn an seinen Versicherungsvertreter erinnerte; nicht das konventionell hübsche Mädchen mit dem Pagenschnitt oder den kräftigen Ringertypen, dessen ziegelsteinroter Nacken aus dem engen Kragen quoll. Es war gar nicht so einfach, jemanden zu finden.
      Schließlich entschied er sich für eine Frau. Aus irgendeinem Grund musste es eine Frau sein. Sie war Ende dreißig, schätzte er, hatte ein Mondgesicht und kurzes mausgraues Haar. Ihr Mund war ein breiter roter Strich und sie hatte große Augen.
      Aber es war weniger ihre äußere Erscheinung als ihre Ausstrahlung, die ihn dazu veranlasste, gerade sie auszuwählen. Diese Frau, stellte er sich vor, war gut und ehrlich. Und mehr noch, sie konnte die Wahrheit von einer Lüge unterscheiden. Im Moment schien es sie zu verwirren und einzuschüchtern, eine solch verantwortungsvolle Rolle innezuhaben, aber im Verlaufe des Prozesses, das wusste er, würde sie gewissenhaft zuhören, abwägen, urteilen und entscheiden. Ihre Entscheidung würde die richtige sein, und an ihrem Gesichtsausdruck würde er ablesen können, welche sie getroffen hatte. Ja, er würde sie genau im Auge behalten. Er wollte sie »Minerva« nennen.
      Noch ehe es Owen begriff, hatte Jerome Lawrence, der Staatsanwalt, mit seiner Eröffnungsrede begonnen. Lawrence war ein kleiner, dunkler Mann mit ruhelosen Knopfaugen, der nie frisch rasiert aussah und dessen dunkle Stoppeln wie Schuhcreme auf Wangen und Kinn glänzten. Irgendwie schien er perfekt in seine Robe zu passen, in der er noch mehr als die anderen Würdenträger im Saal wie eine Fledermaus aussah, jederzeit bereit, die Flügel zu schlagen und in die Nacht zu entgleiten. Wie Shirley Castle arbeitete er beim Sprechen viel mit seinen Händen, wobei seine Robe auf ungeheuer nervtötende Weise raschelte.
      »Die Staatsanwaltschaft wird zu beweisen wissen«, sagte er in seinem ausgeprägten Oxfordenglisch, »dass der Angeklagte des abscheulichsten, niederträchtigsten, brutalsten, unmenschlichsten Verbrechens schuldig ist, das man sich vorstellen kann: des Mordes an einem Kind, an einem unschuldigen,

Weitere Kostenlose Bücher