Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
Sichtweise von Banks' Vater, genauso wie Franks, basierte auf Unkenntnis und Sorge, auf Angst vor Veränderung, nicht auf Hass. Motcombes Hass entsprang vielleicht auch einer anfänglichen Angst, doch das entschuldigte noch lange nicht den Weg, den er eingeschlagen hatte.
Die Räder setzten holpernd auf der Landepiste auf und bald strömte Banks mit der Menge in die Ankunftshalle. Er reiste mit leichtem Handgepäck und musste deshalb nicht an der Gepäckausgabe warten. Der Flughafen war eine kleine Stadt für sich und voll reger Betriebsamkeit. Hier gab es alles, von Geschäften über Banken und einem Postamt bis hin zu Schaltern für Touristeninformationen. Ein Kollege hatte ihm vor einer Weile erzählt, dass in Schiphol sogar Pornografie offen angeboten wurde. Er hatte weder Zeit noch Lust, danach zu suchen.
Das Erste, was Banks brauchte, als er aus dem Flugzeug kam, war eine Zigarette. Er folgte der Beschilderung zur Bushaltestelle und sah, dass er fünfzehn Minuten zu warten hatte. Perfekt. Er rauchte gemächlich eine Zigarette und stieg dann in den Bus. Und bald jagte er unter den Netzen der Oberleitung und den hohen Straßenlaternen über die Autobahn.
Die Aufregung über die Ankunft verdrängte für den Moment Banks' Probleme, und er begann sich an seiner Rebellion zu erfreuen, seinem kleinen Akt der Verantwortungslosigkeit. Damit niemand glaubte, er hätte sich komplett in Luft aufgelöst, hatte er Susan angerufen und ihr gesagt, dass er über das Wochenende freinahm, um nach Amsterdam zu fliegen, und irgendwann am Montag zurück sein wollte. Susan hatte verwirrt und überrascht geklungen, hatte aber keinen Kommentar abgegeben. Was sollte sie auch sagen? Banks war ihr Chef. Als der Bus Richtung Stadtzentrum fuhr, begann er sich auf das Kommende zu freuen, was auch immer es bringen mochte. Schlimmer als das Leben in Eastvale konnte es im Moment nicht sein.
Er war schon einmal in Amsterdam gewesen, mit Sandra, in einem Sommer, als sich beide zwischen der Uni und dem Berufsbeginn befunden hatten. Er erinnerte sich an die Radfahrer, die Grachten, Trambahnen und Hausboote. Damals war die Stadt noch von dem übrig gebliebenen Geist der sechziger Jahre erfüllt gewesen, und sie hatten alles ausprobiert, solange sie noch konnten: das Paradiso, das Milky Way, den Von-delpark, die Drogen - nun ja, immerhin Marihuana -, und genauso hatten sie alle Museen und Sehenswürdigkeiten besucht.
Stationsplein sah noch aus wie früher. Die Luft war warm und nur leicht mit dem Gestank der in die Grachten geleiteten Abwasser versetzt. In alle Richtungen fuhren quietschend Trambahnen. Ein Ausflugsboot mit Panoramafenster legte ab. Kleine Wellen klatschten gegen die Steinmole.
Unter die Touristen der Nachsaison und das normale Volk waren alle Jugendmoden der Nachhippiezeit gemischt: Punkfrisuren, ein grüner Irokese, nietenbesetzte Lederwesten, kurzes, gebleichtes Haar, Ohrringe, Nasenringe, gepiercte Augenbrauen.
In der Nähe fand Banks den Taxistand. Nachdem er im Flugzeug und im Bus eingepfercht gewesen war, wäre er gerne zu Fuß gegangen, aber er konnte sich noch nicht orientieren. Er wusste nicht, wie er zum Hotel gelangen sollte oder wie weit es war.
Das Taxi war sauber und der Fahrer schien den Namen des Hotels zu kennen. Bald hatte er den Wagen vom Platz gelenkt, dann fuhren sie eine breite, belebte Straße entlang, die mit Bäumen, Arkaden, Geschäften und Cafés gesäumt war. Auf den Gehsteigen waren für Anfang Oktober eine Menge Touristen unterwegs, und Banks sah, dass einige der Cafés und Restaurants Tische hinausgestellt hatten. Er öffnete das Fenster ein wenig und ließ den Duft des frisch gebrühten Kaffees herein. Gott, es war wie ein Sommertag.
Der Fahrer bog ab, überquerte eine malerische Brücke und folgte dann einer der Grachten. Nach ein paar weiteren Abzweigungen hielt er schließlich vor dem Hotel in der Keizersgracht an. Banks zahlte den Fahrpreis, eine exorbitante Summe Gulden für die kurze Strecke, und hob dann seine Reisetasche aus dem Kofferraum.
Er schaute hinauf auf die geschlossene Häuserreihe vor ihm. Das Hotel war ein kleines, schmales Gebäude, ungefähr sechs Stockwerke hoch, mit einer gelben Sandsteinfassade und einem Giebeldach. Es war in eine lange Reihe unterschiedlicher Gebäude aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert eingekeilt, die, wie Banks vermutete, wahrscheinlich einmal Häuser von Kaufleuten gewesen waren. Manche waren aus
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