Inspector Alan Banks 09 Das blutige Erbe
Wolkenschleier verschwunden, wodurch das Licht leicht dunstig oder neblig erschien. Doch es war noch warm und er legte beim Gehen seine Jacke über die Schulter.
Zwei hübsche junge Mädchen gingen an ihm vorbei, ihrem Äußeren nach zu urteilen Studentinnen, und die mit dem langen, hennagefärbten Haar lächelte ihn an. Ohne Frage ein flirtendes Lächeln. Absurderweise fühlte sich Banks geschmeichelt und zufrieden mit sich; auch war er ein wenig verlegen. Na bitte, da war er nun Anfang vierzig und die jungen Mädchen warfen ihm immer noch Blicke zu.
Anscheinend sah er trotz der leicht ergrauten Schläfen seines kurz geschnittenen, schwarzen Haares jugendlich aus, und er wusste, dass er für sein Alter ganz gut in Form war - immer noch schlank und rank, wirkte er auf eine drahtige und kompakte Art kräftig. Zwanglos mit Jeans, Turnschuhen und einem hellblauen Jeanshemd bekleidet, erschien er wahrscheinlich jünger, als er war. Und obwohl sein eher langes, kantiges Gesicht nicht im üblichen Sinn des Wortes gut aussehend war, war es doch ein Gesicht, das den Frauen aufzufallen schien. Sandra hatte immer gesagt, es würde an seinen lebendigen, ausdrucksvollen dunkelblauen Augen liegen.
Er erreichte eine kleine Brücke mit schwarzem Eisengeländer. An der Ecke stand ein Blumenhändler, der intensive Duft der Rosen erfüllte die Luft. Wie es Gerüchen eigen ist, rief der Duft eine lebhafte Erinnerung in ihm wach, die mit einem seiner Jahre zurückliegenden Spaziergänge mit Sandra zu tun hatte, doch er verdrängte sie. Einen Moment lang blieb er auf das Geländer gelehnt stehen und schaute hinab auf das trübe Wasser, auf dem zwischen den Regenbögen des Dieselöls Schokoladenverpackungen und Zigarettenschachteln trieben, holte dann tief Luft und ging zurück auf die Straße.
Wie der Empfangschef gesagt hatte, befand sich gleich an der Straßenecke der Pub De Kuyper's. Die Fassade bestand aus dunkelbraunem Holz und ungeschliffenen Rauchglasfenstern, auf denen in großen weißen Buchstaben der Name stand. Vor dem Lokal standen ein paar kleine, runde Tische, von denen im Moment keiner besetzt war. Banks warf einen Blick in die mit dunklem Holz vertäfelte Bar, sah niemanden, den er kannte oder der Notiz von ihm nahm, und ging wieder hinaus. Er klopfte auf seine Jackentaschen, um zu prüfen, ob er Zigaretten und Brieftasche dabei hatte, hängte sie dann über eine Stuhllehne und setzte sich.
Wie beabsichtigt war er zu früh für das Treffen. Obwohl er nicht mit Gefahr rechnete, nicht hier im Freien an einem warmen Nachmittag, wollte er so viele Blickwinkel wie möglich haben. Sein Tisch war perfekt dafür. Von seinem Platz aus konnte er an der gewundenen Gracht entlang bis jenseits des Hotels schauen, von wo er gekommen war, und in die andere Richtung konnte er auch ziemlich weit sehen. Außerdem hatte er einen ungetrübten Blick auf das gegenüberliegende Ufer. Irgendwo in der Ferne konnte er eine Drehorgel hören.
Als der mit einer weißen Schürze bekleidete Kellner vorbeikam, bestellte Banks eine Flasche De Köninck, ein dunkles belgisches Bier, das er einmal im Belgo, einem Londoner Restaurant, probiert hatte und das ihm damals geschmeckt hatte. Das Bier vor sich, zündete er eine Zigarette an, lehnte sich wartend zurück und beobachtete die an der Gracht vorbeigehenden, lachenden und redenden Leute. Er hatte bereits einen Verdacht, wer gleich auftauchen würde.
Und tatsächlich musste er nicht lange warten. Er hatte gerade seine zweite Zigarette angezündet und sein Bier zur Hälfte geleert, als ihm aus dem Augenwinkel jemand auffiel, der aus der engen Seitenstraße kam.
Es war ein vertrauter Anblick, und Banks gratulierte sich selbst dazu, dass er richtig getippt hatte: Niemand anderer als Detective Superintendent Richard »Dirty Dick« Burgess in Fleisch und Blut kam auf ihn zu. So, wie es aussah, trug er ein bisschen mehr Fleisch als bei ihren letzten Treffen, das meiste davon an seinem Bauch. Und sein Haar war mittlerweile fast genauso grau wie seine zynischen Augen. Burgess arbeitete für irgendeine Sondereinheit von Scotland Yard, und wann immer er auf der Bildfläche erschien, wusste Banks, dass es Komplikationen geben würde.
»Banks, alter Gauner«, sagte Burgess mit einem Cockneyakzent, den er eigentlich, wie Banks wusste, schon vor Jahren verloren hatte. Dann schlug er Banks auf den Rücken und nahm einen Stuhl. »Was dagegen, wenn ich mich dazusetze?«
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