Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Sohn eines Bullen ist.«
»Ich komme«, sagte Banks. »Bis dann!«
Inzwischen war es schon fast dunkel. Er nahm seine Zigaretten und einen kleinen Whisky und setzte sich draußen auf das Mäuerchen. Die letzten karmesin- und purpurroten Streifen durchzogen den Himmel im Westen und der abnehmende Mond schien über dem Tal wie ein polierter Knochen. Die Vorboten eines Gewitters hatten sich verzogen, die Luft war wieder klar und trocken.
Wenigstens hatte er mit Brian gesprochen und würde ihn bald treffen, dachte Banks. Er freute sich auf den Auftritt der Band. Er hatte Brian natürlich auf der Gitarre üben gehört, als er noch zu Hause wohnte, und war beeindruckt gewesen, wie leichthändig er es lernte. Ganz anders als Banks.
Damals, in den Tagen der Beatles, als jedes Kind versuchte, Gitarre zu spielen, hatte er mehr schlecht als recht gerade drei Akkorde hinbekommen und es wieder aufgegeben. Er beneidete Brian um sein Talent, vielleicht genauso, wie er ihn um seine Freiheit beneidete. Auch Banks hatte sich einmal ein Leben als Künstler vorstellen können. Wovon genau er dann gelebt hätte, wusste er nicht; er besaß kein Talent für Musik, Literatur oder Malerei. Er hätte sich an jemanden hängen können, wäre vielleicht ein Roadie geworden oder einfach nur ein cooler Typ. Damals schien das egal zu Sein. Aber Jems Tod hatte ihm den Geschmack daran verdorben und so landete er bei der Polizei. Auch wohnte er damals schon mit Sandra zusammen, war über alle Maßen verliebt und dachte zum ersten Mal in seinem Leben ernsthaft über eine gemeinsame Zukunft nach. Über Kinder. Ein Haus. Das ganze Brimborium. Außerdem wusste er tief im Innern, dass er einen Beruf mit einer gewissen Disziplin brauchte, sonst konnte Gott weiß was mit ihm passieren. Auf die Streitkräfte hatte er keine besondere Lust und mit den Bildern des nie gefundenen Graham Marshall im Hinterkopf blieb nur die Polizei. Geheimnisse mussten gelöst, Schinder eingebuchtet werden.
Vielleicht hätte er seinem ersten Impuls folgen und einfach aufhören sollen, dachte er, als er die Geschehnisse der letzten Zeit Revue passieren ließ. Nein. In diese Falle würde er nicht tappen. Das wäre viel zu einfach. Sein Leben und Beruf waren genau das, was er gewollt hatte, er hatte zwei tolle Kinder und ein etwas angeschlagenes Arbeitsleben vorzuweisen, und er konnte sich nicht vorstellen, etwas anderes zu tun.
Niemand hatte ihm versprochen, dass es ein Spaziergang sein würde. Die Depressionen, die ihn anflogen wie ein Krähenschwarm, würden irgendwann aufhören, und auch das Gefühl der Sinnlosigkeit, der Eindruck, dass seine tiefe Verzweiflung wirklich kein Ende hatte, würde sich ebenfalls im Laufe der Zeit verflüchtigen. Wie Brian gesagt hatte, als Banks ihm von der Trennung berichtet hatte, er würde einfach durchhalten müssen, durchhalten und das Beste daraus machen, mit dem Cottage, mit Annie und dem schwierigen Fall.
Ein aufgeregter Brachvogel kreischte und schrie oben auf dem Hügel. Vielleicht wurde sein Nest von einem Tier bedroht. Banks hörte sein Telefon klingeln. Schnell drückte er die Zigarette aus und ging hinein.
»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung«, sagte Sergeant Hatchley, »aber ich weiß, dass Sie morgen früh nach London fahren.«
»Worum geht's?« Banks sah auf die Uhr. Halb zehn. »Sonst arbeiten Sie doch nicht so lange, Jim.«
»Nee, stimmt. Ich meine, hab ich nicht. Ich war mit ein paar Leuten aus dem Rugby-Club im Queen's Arms, und da dachte ich, ich guck mal kurz auf der Dienststelle vorbei, ob ich schon irgendwelche Antworten auf meine Anfragen bekommen habe.«
»Und?«
»Francis Henderson. Wie schon gesagt, ich weiß ja, dass Sie morgen runterfahren, deswegen rufe ich an. Ich hab seine Adresse.«
»Wohnt er in London?«
»In Dulwich.« Hatchley las die Adresse vor. »Interessant ist, warum die Antwort so schnell gekommen ist: Er ist vorbestraft.«
Banks wurde aufmerksam. »Ja?«
»Die Zentrale schreibt, Francis Henderson hat in den Sechzigern angefangen, für eine der Banden im East End zu arbeiten. Nicht gerade für die Krays, aber so ähnlich. In erster Linie hat er ihnen Informationen beschafft, Leute aufgespürt, die gesucht wurden, andere beschattet, die beobachtet werden sollten. Er wurde drogenabhängig und fing in den Siebzigern an, sein Geld mit Dealen zu verdienen. Hier steht, er hat sich vor Jahren zurückgezogen und ist clean,
Weitere Kostenlose Bücher