Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
sprechen.«
»Sie vielleicht nicht, der Rest des Landes schon. Gucken Sie keine Nachrichten?«
»Nein, Sir. Ich wollte gerade ausgehen.«
»Dann sagen Sie mal besser ab! Die verzeiht ihnen bestimmt. Obwohl mir Ihr Liebesleben scheißegal ist. Wissen Sie, von wo ich anrufe?«
»Nein, Sir.«
»Ich rufe vom Thornfield-Stausee aus an. Machen Sie mal die Ohren auf, dann hören Sie den Regen. Und den Donner. Darf ich Sie aufklären? Vor etwas mehr als einer Stunde wurde eine Frau als Geisel genommen. Sie war mit einem Taxi hierher gekommen und hatte dem Fahrer gesagt, er solle warten, während sie sich etwas angucken wollte. Als er meinte, er hätte lange genug gewartet, suchte er nach ihr und sah sie neben einem Mann stehen, der ihr offenbar eine Pistole an den Kopf hielt. Der Mann schoss in die Luft und nannte seine Forderung, und der Taxifahrer lief zu seinem Wagen zurück und meldete sich bei der Polizei. Die Frau heißt Vivian Elmsley. Klingelt's da bei Ihnen?«
Banks zuckte zusammen. »Vivian Elmsley? Ja, das ist...«
»Ich weiß selbst, wer das ist, Banks. Was ich nicht weiß, ist, warum ihr ein Verrückter eine Pistole an den Kopf hält und verlangt, mit dem zuständigen Beamten im Fall Gloria Shackleton zu sprechen. Denn das ließ er den Taxifahrer ausrichten. Können Sie mir das erklären?«
»Nein, Sir.«
»Nein, Sir. Mehr fällt Ihnen nicht ein?«
Banks riss sich zusammen, um nicht nochmals »Nein, Sir« zu sagen, und fragte stattdessen: »Wie heißt er?«
»Hat er nicht gesagt. Wir jedenfalls haben hier draußen die ganz große Hollywood-Protznummer aufgezogen, die Szene hier hat ein Budget, da sind wir bis ins neue Jahrtausend hinein pleite. Hören Sie mir noch zu, Banks?«
»Ja, Sir.«
»Ein Verhandlungsführer hat aus der Entfernung kurz mit ihm geredet, aber er sagt nur, er will, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Er sagt nichts mehr, bevor wir Sie nicht herholen. Wir haben schon eine bewaffnete Reaktionseinheit vor Ort, denen juckt es allmählich in den Fingern. Einer von den Scharfschützen soll gesagt haben, er hätte ihn genau im Visier.«
»Das darf doch nicht wahr sein ...«
»Bewegen Sie Ihren Arsch hierher, Mann! Und zwar jetzt! Und diesmal brauchen Sie mit Sicherheit Ihre Gummistiefel! Hier schifft es wie aus Eimern!«
Als Riddle aufgelegt hatte, griff Banks zu seinem Regenmantel und schoss aus dem Haus. Er konnte sich ziemlich gut vorstellen, wer Vivian Elmsley in seiner Gewalt hatte und warum er das tat. Hinter ihm hallte Miles' traurige Trompete durch das leere Cottage.
Annie war es gelungen, die Dienststelle zu verlassen, bevor das Chaos ausbrach, und befand sich gegen sechs Uhr auf der M65 vor Blackburn, wechselte von einer Spur auf die andere, um an den ellenlangen Lkw-Konvois vorbeizukommen, die sich in regelmäßigen Abständen zu bilden schienen. Es war Freitag, Wochenendverkehr, der Himmel war dunkel vor Gewitterwolken, die den gesamten Norden mit sintflutartigem Regen übergossen. Blitze flackerten zickzackartig über die buckligen Pennines und der Donner rumpelte und krachte wie ein verrückter Trommler in der Ferne. Annie zählte die Sekunden zwischen Donner und Blitz und fragte sich, ob man daraus tatsächlich errechnen konnte, wie weit das Gewitter entfernt war.
Wie weit waren Banks und sie nun auseinander? Konnte man das messen, so wie die Pause zwischen Blitz und Donner? Sie wusste, dass ihre Flucht feige war, aber ein bisschen Zeit und Abstand würden ihr eine bessere Sicht auf die Dinge ermöglichen und ihr die Gelegenheit geben, sich über ihre Gefühle klar zu werden.
Es wurde ihr langsam alles zu viel: zuerst die Verärgerung, die sie empfunden hatte, als er mit seinem Kumpel in Leeds um die Häuser gezogen war, anstatt mit ihr essen zu gehen, dann die Sache in London, als er seinen Sohn in Bethnal Green getroffen und ihr zu verstehen gegeben hatte, dass sie dort nicht erwünscht war, und dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, Sandras Auftritt im Cottage am Sonntagmorgen. Annie war sich wie ein kleines Mädchen vorgekommen. Und Banks liebte Sandra noch immer, das war deutlich zu spüren gewesen.
Es war nicht Banks' Schuld; es war nicht er, vor dem sie flüchtete, sondern sie selbst. Wenn jede derartige Kleinigkeit ihre bloßliegenden Nerven so ramponierte, wie sollte sie dann zur Ruhe kommen? Sie konnte Banks nicht vorwerfen, sich Zeit für
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