Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
ein Gesicht, als habe sie Schmerzen, was wahrscheinlich auch der Fall war. Sie sagte: »Ihr habt wirklich an alles gedacht, wie?«
Matthew strahlte. »An alles, Mutter. Am nächsten Sonntag möchten wir das Aufgebot bestellen. Sag doch bitte, dass du uns deinen Segen gibst. Bitte!«
Mutter hielt mir ihre Tasse hin und ich goss Tee nach.
Ihre Hand zitterte, die Tasse klapperte auf dem Unterteller. Wieder sah sie Gloria an. »Und Sie sind eine Waise, meine Liebe? Sie haben keine Verwandten mehr?«
»Nein. Aber haben Sie nicht gesagt, ich hätte ja Sie?«
Mutter lächelte. Ein klein wenig. Mehr erlaubte sie sich damals nicht. Nur ein kleines Lächeln. »Das habe ich wohl.«
»Oh, bitte, Mrs. Shackleton, bitte geben Sie uns Ihre Erlaubnis!«
»Es sieht nicht so aus, als ob ich eine große Wahl hätte, oder? Na, dann habt ihr meinen Segen.« Sie seufzte und sah mich an. »Ich schätze, jetzt müssen wir anfangen, unsere Lebensmittelkarten aufzusparen, stimmt's, Gwen, mein Schatz?«
***
Manchmal ging Vivian Elmsley morgens gern Rosslyn Hill bis zur High Street hoch, besonders wenn das Wetter gut war. Dort setzte sie sich vor eins der Cafes an einen Tisch und genoss ihren morgendlichen Kaffee. Sie spazierte langsam, in letzter Zeit bekam sie schlechter Luft.
Wie üblich wurde sie auf der Straße von ein oder zwei Leuten erkannt, die sie im Fernsehen oder auf Zeitschriften gesehen hatten, aber die Menschen in Hampstead behandelten Berühmtheiten ganz normal, besonders die aus der Welt der Literatur, so dass sie niemand mit Autogrammwünschen belästigte oder ihr einfach sagen musste, wie gut oder schlecht ihr jüngstes Buch sei.
Ohne große Mühe fand sie einen leeren Tisch, bestellte einen Kaffee und schlug die Times auf. Sie hatte keinen festen Tagesablauf. An manchen Tagen verlor sie sich auf ihrem Spaziergang in Gedanken über das Buch, an dem sie gerade arbeitete. Dann bemerkte sie kaum die Menschen auf der Straße, vergaß sogar die Jahreszeit. An solchen Tagen setzte sie sich mit ihrem Notizbuch hin und schrieb beim Kaffee ein paar Einfälle nieder. Heute jedoch hatte sie etwas ganz anderes im Kopf als das Buch, und das gefiel ihr gar nicht.
Sie schlug die Zeitung auf. Die kurze Meldung, nach der sie suchte, fand sich in einer Spalte auf der Innenseite, die normalerweise für Neuigkeiten aus der Provinz reserviert war:
SKELETT IM STAUSEE OPFER EINES GEWALTVERBRECHENS?
In einer gestern vor Lokalreportern abgegebenen überraschenden Stellungnahme gab die Polizei von North Yorkshire bekannt, dass es sich bei den im Thornfield-Stausee gefundenen Gebeinen um die eines weiblichen Mordopfers handelt. Der mit dem Fall betraute Beamte, Detective Chief Inspector Alan Banks, sagte, die Polizei habe das Opfer zwar noch nicht identifizieren können, doch stehe bereits fest, dass es sich um die Leiche einer Frau von Anfang zwanzig handelt. Alles weise darauf hin, dass sie erstochen wurde. Wie lange die Leiche dort gelegen habe, sei erheblich schwerer zu bestimmen, fügte Chief Inspector Banks hinzu, erste Hinweise ließen jedoch darauf schließen, dass das Verbrechen in diesem Jahrhundert verübt worden sei. Der Thornfield-Stausee wurde anstelle eines Dorfes namens Hobb's End gebaut, dessen Ruinen nun zum ersten Mal seit 1953 zum Vorschein gekommen sind. Das Skelett wurde von dem dreizehnjährigen Adam Kelly im Boden eines Schuppens entdeckt, als er auf dem Gelände spielte. Wer Informationen zu diesem Fall hat, wird gebeten, sich unverzüglich mit der Polizei in North Yorkshire in Verbindung zu setzen.
Das wussten sie also bereits. Mit leicht zitternder Hand legte Vivian die Zeitung beiseite und schlürfte die Haube aus Milchschaum vom Kaffee. Jetzt konnte sie sich nicht mehr auf die übrigen Nachrichten konzentrieren oder sich am Kreuzworträtsel versuchen. Die kleine Meldung hatte ihr ziemlich den Tag verdorben.
Es war schon komisch, dachte sie, wie die Zeit einen narrte. Im Laufe der Jahre hatte sie sich von der Vergangenheit lösen können: die Jahre mit Ronald in Afrika, Hongkong, Südamerika und Malaysia; die ersten Versuche als Schriftstellerin nach seinem Tod; die Absagen und Demütigungen; das Hochgefühl der ersten Veröffentlichung; der langsame Aufstieg zum Erfolg; die Fernsehserie. Vor Ronald hatte sie immer gedacht, ihr Leben sei verflucht. Doch im Laufe der Jahre entdeckte sie stattdessen, dass es zwar in gewisser Hinsicht
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