Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
unhöflich zu sein. Ein bisschen Berühmtheit kann das Leben ganz schön verändern, sage ich Ihnen.«
»Unterrichten Sie noch?«
»Nein. Ich bin vor drei Jahren in Pension gegangen.« Sie klopfte auf das Taschenbuch. »Ich hab mir vorgenommen, all meine Lieblingsbücher noch mal zu lesen, wenn ich in Rente gehe.« Sie nahm Platz. »Wir lassen den Tee ein paar Minuten ziehen, ja? Ich nehme an, Sie sind wegen Lucy Payne hier?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe versucht, die Kinder nicht aus den Augen zu verlieren. Ich weiß, dass Lucy - Linda, wie sie damals hieß - bei einem Ehepaar namens Liversedge in der Nähe von Hull gelebt hat und dann eine Stelle bei einer Bank bekam und nach Leeds gezogen ist, wo sie Terence Payne geheiratet hat. Und eben beim Mittagessen habe ich in den Nachrichten gehört, dass die Polizei sie mangels Beweisen hat laufen lassen.«
Selbst Jenny war das neu, weil sie das Autoradio nicht angeschaltet hatte. »Woher wissen Sie das alles?«, fragte sie.
»Meine Schwester arbeitet bei der Sozialbehörde in Hull. Aber Sie verraten nichts, oder?«
»Versprochen.«
»Also, was möchten Sie wissen?«
»Was für einen Eindruck hatten Sie von Lucy?«
»Sie war ein helles Köpfchen. Unglaublich gewitzt. Aber schnell gelangweilt, leicht abzulenken. Sie hatte einen starken Willen, war stur, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte nichts sie davon abbringen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass sie bereits zur Gesamtschule ging, als die Sache aufflog. Ich hab sie nur in der Grundschule unterrichtet. Sie war bis zu ihrem elften Lebensjahr bei uns.«
»Aber die anderen waren noch da?«
»Ja. Alle anderen. Die Auswahl ist nicht gerade groß, was die Schulen hier angeht.«
»Kann ich mir vorstellen. Können Sie mir noch mehr über Lucy erzählen?«
»Eigentlich nicht.«
»Hat sie Freunde gehabt?«
»Hatte keiner von denen. Das war auch so auffällig. Es war eine unheimliche Bande. Manchmal hatte man ein komisches Gefühl, wenn man sie zusammenstehen sah, als hätten sie eine Geheimsprache oder einen verborgenen Plan. Haben Sie mal John Wyndham gelesen?«
»Nein.«
»Sollten Sie aber. Er ist wirklich gut. Für einen Sciencefiction-Autor, meine ich. Ob Sie's glauben oder nicht, ich habe meine Schüler ermuntert, so gut wie alles zu lesen, was ihnen in die Finger kam, Hauptsache, sie haben überhaupt gelesen. Egal, Wyndham hat ein Buch geschrieben, das heißt Es geschah am Tage X. Es handelt von einer Gruppe sonderbarer Kinder, die von Außerirdischen in einem ahnungslosen Dorf gezeugt werden.«
»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Jenny.
»Vielleicht kennen Sie den Film? Der hieß Dorf der Verdammten.«
»Genau!«, sagte Jenny. »Wo der Lehrer eine Bombe baut, um die Kinder zu töten, und sich auf eine Mauer konzentrieren muss, damit sie seine Gedanken nicht lesen können?«
»Ja. Nun ja, ganz so war es nicht mit den Godwins und den Murrays, aber man hatte trotzdem so ein komisches Gefühl, wenn sie einen angeguckt haben, wenn sie im Flur gewartet haben, bis man vorbeigegangen war, bevor sie weitergeredet haben. Und sie haben immer nur geflüstert. Ich weiß noch, dass Linda völlig aufgelöst war, weil sie als Erste von der Schule zur Gesamtschule musste, aber ihre neue Lehrerin erzählte mir damals, dass sie sich schnell eingelebt hätte. Sie ist stark, dieses Mädchen, obwohl sie eine Menge durchgemacht hat, und sie kann sich anpassen.«
»Hatte sie irgendwelche ungewöhnlichen Vorlieben?«
»Was meinen Sie damit?«
»Auffallend morbide Neigungen? Tod? Verstümmelung?«
»Nicht dass ich wüsste. Sie war ... wie soll ich das sagen ... sie war frühreif, und für ein Mädchen ihres Alters war sie sich ihrer Sexualität relativ bewusst. Im Durchschnitt kommen Mädchen mit ungefähr zwölf Jahren in die Pubertät, aber Lucy hatte die Vorpubertät bereits mit elf hinter sich. Sie bekam schon einen Busen.«
»War sie sexuell aktiv?«
»Nein. Nun, heute wissen wir ja, dass sie zu Hause sexuell missbraucht wurde. Aber nein, sie war nicht in dem Sinne aktiv, wie Sie meinen. Sie besaß einfach eine Sexualität. Man nahm es wahr, und sie war durchaus in der Lage, die kleine Kokette zu spielen.«
»Verstehe.« Jenny notierte es sich. »Und als Kathleen längere Zeit gefehlt hat, haben Sie die Behörden verständigt?«
»Ja.« Maureen blickte
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