Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
Früher war alles gut. Ich hatte ein ganz normales Leben. Bis ich Terry kennen gelernt hab. Von da an ging alles in die Brüche. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich hätte es wissen müssen.«
»Was, Lucy?«
»Was er für ein Mensch ist. Was er für ein Ungeheuer ist.«
»Aber das haben Sie doch gewusst. Sie haben gesagt, er hätte Sie geschlagen, Sie öffentlich und privat gedemütigt. Sie wussten es. Wollen Sie mir erzählen, dass Sie das normal fanden? Glauben Sie, dass alle Leute so leben?«
»Nein, natürlich nicht. Aber deshalb war er doch noch nicht das Monster, von dem jetzt alle reden.« Wieder schaute Lucy zur Seite.
»Was ist, Lucy?«, fragte Jenny.
»Sie finden bestimmt, dass ich einen ganz schwachen Charakter habe, weil er das mit mir machen konnte. Dass ich ein schrecklicher Mensch bin. Aber das bin ich nicht. Ich bin nett. Das sagen alle. Ich hatte Angst. Reden Sie mit Maggie! Sie versteht das.«
Banks trat einen Schritt näher. »Maggie Forrest? Ihre Nachbarin?«
»Ja.« Lucy schaute ihn an. »Sie hat mir diese Blumen geschickt. Wir haben darüber gesprochen ... also ... über Männer, die ihre Frauen misshandeln, und sie hat versucht, mich zu überreden, dass ich Terry verlasse, aber ich hatte zu viel Angst. Vielleicht hätte ich mich irgendwann getraut. Keine Ahnung. Jetzt ist es zu spät, oder? Entschuldigung, ich bin müde. Ich möchte nicht mehr reden. Ich möchte einfach nur nach Hause und meine Ruhe haben.«
Banks überlegte, ob er Lucy sagen sollte, dass sie in nächster Zeit nicht heim konnte, weil ihr Haus wie eine archäologische Ausgrabungsstätte aussah und noch wochenlang, vielleicht monatelang, von der Polizei beschlagnahmt sein würde.
Er entschied sich dagegen. Sie würde es noch früh genug erfahren.
»Dann gehen wir jetzt«, sagte Jenny und erhob sich. »Alles Gute, Lucy!«
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«, fragte Lucy, als sie in der Tür standen.
»Was denn?«, fragte Banks.
»Zu Hause, bei uns im Schlafzimmer, steht ein Schmuckkästchen auf der Kommode. So ein hübsches japanisches Kästchen, schwarz lackiert mit ganz vielen handgemalten Blumen drauf. Da sind meine Lieblingssachen drin - Ohrringe, die ich in unseren Flitterwochen auf Kreta gekauft habe, eine Goldkette mit einem Herz, die Terry mir zur Verlobung geschenkt hat. Die gehören mir. Könnten Sie mir das vielleicht bringen? Mein Schmuckkästchen?«
Banks versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. »Lucy«, sagte er, so ruhig er konnte. »Wir gehen davon aus, dass mehrere junge Mädchen im Keller Ihres Hauses sexuell missbraucht und anschließend getötet wurden, und Sie denken an nichts anderes als Ihren Schmuck?«
»Das stimmt nicht«, widersprach Lucy leicht gereizt. »Es tut mir natürlich Leid, was mit den Mädchen da passiert ist, klar? aber das ist nicht meine Schuld. Ich sehe nicht ein, weshalb ich deshalb auf meinen Schmuck verzichten soll. Bis jetzt habe ich nur meine Handtasche und mein Portemonnaie von zu Hause bekommen, und da haben welche drin rumgewühlt, das hab ich sofort gemerkt.«
Banks folgte Jenny auf den Gang und steuerte mit ihr auf die Lifte zu. »Beruhige dich doch, Alan«, sagte Jenny. »Lucy dissoziiert. Sie kann emotional nicht nachvollziehen, was geschehen ist.«
»Toll«, sagte Banks und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. »Das ist ja super. Jetzt kann ich losgehen und Dr. Mackenzie bei der nächsten Autopsie zugucken, und dabei behalt ich immer schön im Hinterkopf, dass das nicht Lucy Paynes Schuld ist und sie nur versucht zu dissoziieren, vielen Dank.«
Jenny legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich kann verstehen, dass du frustriert bist, Alan, aber es nützt doch nichts. Du kannst sie nicht zwingen. Sie lässt sich nicht zwingen. Geduld!«
Sie stiegen in den Aufzug. »Sich mit der Frau zu unterhalten ist so, als würde man versuchen, einen Pudding an die Wand zu nageln«, sagte Banks.
»Sie ist schon seltsam, stimmt.«
»Ist das dein fachmännisches Urteil?«
Jenny grinste. »Ich denk noch mal drüber nach. Ich melde mich bei dir, wenn ich mit ihrer Kollegin und den Eltern gesprochen habe. Tschüs!« Sie waren im Erdgeschoss angekommen. Jenny eilte zum Parkplatz. Banks holte tief Luft und drückte auf den Abwärtsknopf.
Rapunzel war ihr heute deutlich besser gelungen, fand Maggie, als sie, die Zungenspitze zwischen den Zähnen, einen Schritt zurücktrat
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