Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
angehört.«
»Danke.«
»Ich hab gestern Oma und Opa besucht.«
»Ja? Wie geht's ihnen?«
»Wie immer. Du solltest auch öfter mal vorbeischauen.«
»Ach, du weißt doch, wie das ist.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Sie haben was gegen mich, Dad. Seit ich an der Uni einen schlechten Abschluss gemacht und mit der Band angefangen hab. Wenn ich sie sehe, heißt es immer nur: Tracy macht dies und Tracy macht das. Was ich tue, ist ihnen scheißegal.«
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, sagte Banks, obwohl er vermutete, dass Brian Recht hatte. Behandelten sie ihn nicht genauso? Es ging immer nur um Roy, Roy, Roy, auch wenn Banks noch so große Erfolge vorzuweisen hatte. Banks hatte auch Schwierigkeiten gehabt, sich mit dem Traumberuf seines Sohnes abzufinden. Der einzige Unterschied zu seinen Eltern war, dass Banks seinen Frieden mit Brians Entscheidung gemacht hatte, während seine Eltern noch heute gegen Banks' Beruf waren. »Wie dem auch sei, sie würden dich bestimmt gern mal wieder sehen.«
»Ja, gut. Ich versuch mal bei ihnen vorbeizufahren, wenn ich Zeit habe.«
»Wie geht's deiner Mutter?«
»Gut, glaube ich.«
»Hast du sie mal gesehen?«
»In den letzten Wochen nicht mehr.«
»Wie geht's ihr mit der ... du weißt schon ... muss doch jetzt bald so weit sein.«
»Ja, glaub schon. Sag mal, Dad, hast du nichts zu essen da? Ich hab noch nichts in den Magen bekommen, ich hab einen Riesenhunger.«
Banks überlegte. Im Queen's Arms hatte er ein Sandwich gegessen und daher keinen großen Hunger. Er wusste, dass er nichts Ordentliches in Kühlschrank oder Gefrierschrank hatte. Schnell warf er einen Blick auf die Uhr. »Unten in Helmthorpe ist ein Chinese. Der müsste noch offen haben, wenn du willst.«
»Super«, sagte Brian und leerte die Bierdose. »Worauf warten wir noch?«
Banks seufzte und griff zu seiner Jacke. Wieder kein ruhiger Abend.
Michelle hätte zu Fuß nach Hause gehen können, es war nicht weit, aber der Weg war nicht besonders angenehm und es regnete immer noch. Sie beschloss, sich ein Taxi zu gönnen.
Die erste Ahnung, dass in ihrer Wohnung etwas nicht stimmte, hatte sie, als sie ihren Computer sah. Der Bildschirmschoner von Mystery lief: Aus den Lautsprechern erklang das Knarren einer Tür, die Lichter in der gruseligen Villa leuchteten, der Vollmond glitt langsam über den sternenklaren Himmel. Michelle wusste genau, dass sie den Computer ausgeschaltet hatte, nachdem sie am Morgen ihre E-Mails gelesen hatte. Das tat sie immer; es war fast eine Zwangshandlung. Aus einer der noch nicht ausgepackten Kisten waren Bücher geholt worden. Sie waren nicht beschädigt, sondern neben der Kiste aufgestapelt.
Michelle bewegte die Maus, und der Bildschirmschoner verschwand. Ihre Datei mit Notizen zum Marshall-Fall war geöffnet, obwohl Michelle sie seit dem letzten Abend nicht aufgerufen hatte. Ihre Spekulationen waren nicht geheim, sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass sich jemand dafür interessieren könnte. Daher hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, die Datei mit einem Passwort zu sichern. Für die Zukunft war sie nun eines Besseren belehrt.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Reglos stand Michelle da und lauschte angestrengt auf ein ungewohntes Geräusch. Nichts, nur das Ticken der Uhr und das Summen des Kühlschranks. Michelle holte ihren alten Schlagstock aus dem Einbauschrank neben der Tür. Den Stock fest umklammernd, war sie mutig genug, um den Rest der Wohnung zu erkunden.
In der Küche brannte Licht, auf der Arbeitsfläche lagen Dinge, die sie am Morgen in den Kühlschrank gestellt hatte - Milch, Butter, Eier. Die Butter war zu einer formlosen Masse geschmolzen und rann ihr durch die Finger, als sie sie aufheben wollte.
Der Badezimmerschrank war geöffnet, die Tabletten und Arzneien, die sie dort aufbewahrte, waren umgeworfen. Das Fläschchen mit Aspirin stand auf dem Waschbecken, der Deckel war abgeschraubt, der Wattebausch fehlte. Kalt lief es Michelle den Rücken hinunter. Was sollte das alles ? Sie konnte sich nicht vorstellen, warum jemand ihre Wohnung durchsuchte. Offensichtlich hatte der Täter ihr Angst einjagen wollen - das war ihm geglückt.
Vorsichtig ging Michelle ins Schlafzimmer. Den Schlagstock fest umklammernd, rechnete sie mit dem Schlimmsten. Aber niemand sprang ihr entgegen. Plötzlich ließ sie den Stock fallen und hielt die Hand vor den
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