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Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall

Titel: Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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1965 gewesen, die Sonne war gerade aufgegangen, doch war es noch ziemlich dunkel, weil der Himmel bewölkt war. Alle schliefen sich aus, selbst die Kirchgänger waren noch nicht auf den Beinen. Vielleicht leuchtete in ein, zwei Fenstern Licht - Schlaflose und chronische Frühaufsteher -, aber niemand hatte etwas gesehen.
      Michelle erreichte die Wilmer Road am hinteren Ende der Siedlung. Selbst jetzt, Jahre später, mitten am Vormittag, herrschte hier nicht viel Verkehr, die meisten Autos fuhren zu dem Baumarkt, der 1965 noch nicht da gewesen war. Michelle war fast hundertprozentig sicher, dass Graham seinen Mörder gekannt hatte und freiwillig ins Auto gestiegen war, deshalb war auch die Tasche nie gefunden worden. Wenn Graham zum Einsteigen gezwungen worden wäre, hätte er sich gewehrt und die Zeitungen fallen gelassen.
      Aber wie war Graham überzeugt worden mitzukommen, ohne seine Runde beendet zu haben? Vielleicht hatte man ihm erzählt, seiner Familie sei etwas zugestoßen? Michelle glaubte es nicht. Grahams Familie wohnte nur wenige Meter entfernt; er wäre in weniger als einer Minute zu Fuß zu Hause gewesen. Sicher, Vierzehnjährige handelten manchmal verantwortungslos. Es war möglich, dass Graham sich einfach aus dem Staub gemacht hatte.
      Michelle stand auf der Straße und beobachtete den Verkehr zum Baumarkt. Sie dachte an die fehlenden Bücher, und plötzlich hatte sie eine Eingebung. Sie war so offensichtlich, dass sie sich wunderte, es nicht früher bemerkt zu haben.
      Detective Superintendent Shaw war zum Zeitpunkt von Grahams Verschwinden lediglich Constable gewesen. Das hätte ihr sofort auffallen müssen. Was hatte er also zu verbergen? Er besaß keine Macht, trug keine Verantwortung, hatte keine Befehle ausgegeben. Er war nur dabei gewesen und hatte die Befragungen von Detective Inspector Reg Praetor protokolliert, mehr nicht.
      Michelle wurde klar, dass sie sich nur deshalb auf Shaw versteift hatte, weil sie ihn nicht mochte und ihm verübelte, wie er sie behandelte. Nicht Shaw hatte die Verantwortung im Marshall-Fall getragen, sondern die Legende der Polizei von Peterborough: Detective Superintendent John Harris.
      Michelle kehrte zu ihrem Wagen vor der Ladenzeile zurück. Vielleicht war sie ein wenig in Gedanken versunken, dachte über Jet Harris nach und was er eventuell zu verbergen hatte, vielleicht passte sie nicht so gut auf wie sonst, wenn sie eine Straße überquerte, aber vielleicht fuhr der beige Lieferwagen mit den getönten Scheiben tatsächlich genau in dem Moment los, als Michelle auf die Straße treten wollte, vielleicht stieg der Fahrer tatsächlich aufs Gas statt auf die Bremse.
      Glücklicherweise sah Michelle das Auto noch früh genug auf sich zurasen. Im letzten Moment sprang sie zur Seite. Der Lieferwagen streifte sie an der Hüfte, sie stolperte und fiel vornüber auf den weichen Teer. Ein zweiter Wagen hupte und wich aus, eine Frau kam von der anderen Straßenseite und half Michelle auf die Beine. Als Michelle klar wurde, was gerade passiert war, war der Lieferwagen längst über alle Berge. Nur an eins konnte sie sich erinnern: Das Kennzeichen war so schmutzverkrustet gewesen, dass sie es unmöglich hätte entziffern können.
      »Also wirklich«, sagte die Frau, die Michelle auf die andere Straßenseite begleitete. »Die Autofahrer heutzutage ... ich weiß nicht, was das noch werden soll, wirklich nicht. Ist alles in Ordnung, meine Liebe?«
      »Ja«, sagte Michelle und klopfte den Staub ab. »Ja, alles in Ordnung, vielen Dank. Bin nur ein bisschen wacklig auf den Beinen.« Und sie zitterte noch, als sie ins Auto stieg. Fest umklammerte sie das Lenkrad. Um sich zu beruhigen, atmete sie mehrmals tief durch und wartete, bis ihr Herz wieder normal schlug. Erst dann fuhr sie zum Revier.
     
    »Kommst du ein, zwei Tage allein zurecht?«, fragte Banks Annie bei einem mittäglichen Bier im Queen's Arms. Wie die meisten Pubs in der Gegend war das Queen's Arms seit dem Ausbruch der Maul-und-Klauen-Seuche halb leer, selbst Musikbox und Videospiele schwiegen gnädig. Ein ortsansässiger Bauer, der schon zu viel getrunken hatte, stand an der Theke und wetterte, die Regierung habe falsch auf die Seuche reagiert. Cyril, der Wirt, brummte hin und wieder höflich zustimmend. Alle litten unter den Reglementierungen, nicht nur die Bauern, sondern auch Wirte, Bed-&-Break-fast-Vermieter, Geschäftsleute, Schlachter, Bäcker, Kerzengießer und die alte Oma Smith.

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