Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Bestimmt nicht Mrs. Metcalfe.
Doch verbot sich die direkte Konfrontation. Michelle musste hundertprozentig sicher sein. Wenn so etwas erst mal ausgesprochen war, konnte man es nicht mehr zurücknehmen. Als Erstes war sie am Morgen wieder im Archiv gewesen und hatte erneut ergebnislos gesucht. Nun war sie wenigstens sicher, dass die Akten tatsächlich fehlten.
Jetzt musste sie nachdenken, was das alles zu bedeuten hatte ... Das konnte sie nicht auf dem Revier, wenn Shaw dort herumspazierte, deshalb entschloss Michelle sich, in die Hazels-Siedlung zu fahren und noch einmal Grahams Zeitungsrunde nachzugehen.
Sie parkte vor der Ladenzeile gegenüber der Siedlung und blieb einen Moment in der Sonne stehen. Sie genoss die Wärme auf ihrem Haar. Das Zeitungsgeschäft gehörte nun einer Mrs. Walker. Dort hatte alles seinen Anfang genommen. Auf eine Eingebung hin betrat Michelle den Laden. Eine stämmige, grauhaarige ältere Dame schob die Zeitungen auf der Theke zurecht.
»Hallo, meine Liebe«, sagte die Frau lächelnd. »Was kann ich für Sie tun?«
»Sind Sie Mrs. Walker?«
»Ja, bin ich.«
»Ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können«, sagte Michelle und zückte ihren Polizeiausweis, »aber Sie haben vielleicht gehört, dass wir vor kurzem einige Gebeine gefunden haben ...«
»Der Junge, der hier früher gearbeitet hat?«
»Ja, genau der.«
»Hab ich gelesen. Furchtbare Geschichte.«
»Ja.«
»Aber ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte. Das war vor meiner Zeit.«
»Wann haben Sie hier angefangen?«
»Mein Mann und ich haben den Laden im Herbst 1966 übernommen.«
»Haben Sie ihn von Mr. Bradford gekauft, dem vorigen Inhaber?«
»Ich glaub schon. Der Makler hat die Einzelheiten geregelt, aber mit meinem Mann, Gott hab ihn selig.«
»Ist Mr. Walker verstorben?«
»Schon vor gut zehn Jahren.«
»Das tut mir Leid.«
»Muss es nicht. Er war einfach weg. Hat nichts mitbekommen. Gehirnblutung. Wir hatten ein schönes Leben, und ich bin gut versorgt.« Sie sah sich um. »Es ist nicht unbedingt eine Goldmine, aber ich komme zurecht. Ist harte Arbeit. Immer wieder sagen die Leute, ich soll mich zur Ruhe setzen, verkaufen, aber was soll ich dann mit meiner Zeit anfangen?«
»Haben Sie Graham Marshall überhaupt gekannt?«
»Nein. Wir haben vorher in Spalding gewohnt, am Anfang kannten wir hier niemanden. Wir hatten uns nach einem Zeitungsgeschäft umgesehen, und dieses hier hatte den richtigen Preis. Und es war ein guter Zeitpunkt, damals lief in Peterborough das New-Town-Programm an. Das war 1967, kurz nachdem wir hergezogen sind.«
»Haben Sie denn Mr. Bradford kennen gelernt?«
»Oh ja. Er war sehr hilfreich in der Übergangszeit. Hat uns die ganzen Kniffs und Tricks gezeigt.«
»Wie war er so?«
»Ich kann nicht behaupten, dass ich ihn gut bekannt hätte. Mein Mann hat das meiste mit ihm abgewickelt. Aber er machte einen ordentlichen Eindruck. Ganz nett. Vielleicht etwas kurz angebunden. Steif und militärisch in seiner Art. Ich kann mich erinnern, dass er im Krieg ein hohes Tier gewesen ist, er hat zu irgendeiner Spezialeinheit in Burma gehört. Aber er war hilfsbereit.«
»Haben Sie hinterher noch was von ihm gehört?«
»Nein.«
»Hat er mal von Graham gesprochen?«
»Oh ja. Deswegen ist er hier weggezogen. Teilweise wenigstens. Er hat gesagt, er wäre nicht mehr richtig mit dem Herzen dabei, seit der Junge verschwunden ist, er wollte wegziehen und das Ganze vergessen.«
»Wissen Sie, wohin er gezogen ist?«
»In den Norden, hat er jedenfalls gesagt. Nach Carlisle.«
»Das ist bestimmt weit genug.«
»Ja.«
»Ich nehme nicht an, dass Sie eine Nachsendeadresse hatten, oder?«
»Wussten Sie das nicht? Mr. Bradford ist tot. Er wurde nur wenige Wochen nach seinem Umzug von Einbrechern umgebracht. Das war tragisch. Stand damals in allen Lokalzeitungen.«
»Wirklich?« Michelle wurde neugierig. »Nein, das wusste ich nicht.« Wahrscheinlich war es irrelevant für ihre Ermittlung, aber es klang verdächtig. Einer der letzten Menschen, der Graham lebend gesehen hatte, war selbst umgebracht worden.
Michelle bedankte sich bei Mrs. Walker und ging wieder nach draußen. Sie überquerte die Straße und spazierte Hazel Crescent hinunter, genau die Route, die Graham vor so vielen Jahren eingeschlagen hatte. Es war ein früher Morgen im August
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