Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
die Richtung, in die Luke Armitage gegangen war, als man ihn zuletzt gesehen hatte.
Annie beharrte, sie sei fit genug, um den beiden einen Besuch abzustatten. Das wäre ja noch schöner, wenn sie nach der ganzen Lauferei nicht weitermachen könne, nur weil so ein Rüpel mit Testosteron-Überschuss ihr die Lippe blutig geschlagen hatte. Am stärksten verletzt war ihr Stolz. Nachdem sie die Wunde gesäubert hatte, sah es gar nicht mehr so schlimm aus. Manche Frauen, behauptete sie hinterher, würden ein Vermögen für Collagen-Unterspritzung ausgeben, um so auszusehen. Banks beschloss, zuerst mit Annie zur South Market Street zu fahren und anschließend nach Peterborough aufzubrechen. Um auf der sicheren Seite zu sein, rief er Michelle an und vereinbarte mit ihr, sich um neun Uhr in einem Pub im Zentrum zu treffen.
Martin Armitage kühlte sein Mütchen in der Zelle, Norman Wells lag im Allgemeinen Krankenhaus von Eastvale. Mit Sicherheit würde sich Armitage bei seinem Kumpel, dem Polizeipräsident, beschweren, aber fürs Erste blieb er, wo er war. Später konnten sie ihm Angriff auf einen Polizeibeamten zur Last legen. Wenn sie mit dem geheimnisvollen Mädchen gesprochen hatten.
Zwanzig Minuten später stiegen Banks und Annie die Linoleumstufen hinauf und klopften an die Tür. Es war so still im Haus, dass Banks nicht glaubte, jemanden anzutreffen, doch kurz darauf öffnete eine junge Frau die Tür. Die junge Frau.
»Chief Inspector Banks und Inspector Cabbot«, stellte Banks sich vor und zückte seinen Ausweis. »Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Dann kommen Sie herein.« Das Mädchen trat zur Seite.
Jetzt wurde Banks klar, warum sie so lange gebraucht hatten, das Mädchen ausfindig zu machen: Sie sah bei weitem nicht so exotisch aus, wie Josie Batty sie beschrieben hatte. Aber das war keine große Überraschung, wenn man bedachte, dass die meisten jungen Menschen in Josie Battys Augen exotisch aussahen.
Es stimmte zwar, dass Elizabeth Palmer koboldhafte Züge, ein herzförmiges Gesicht, große Augen und schmale Lippen hatte, aber das war auch schon alles. Das Mädchen war viel hübscher, als Josie Batty es dem Polizeizeichner geschildert hatte. Ihre Haut war blass und makellos, und sie hatte Brüste, von denen pubertierende Jungen und erwachsene Männer nur träumten. In der geschnürten Lederweste kam ihr üppiger Ausschnitt vorteilhaft zur Geltung. Auf ihren Oberarm war eine schlichte Spirale tätowiert. Gepierct schien sie nicht zu sein, lediglich an den Ohren hingen silberne Ohrringe in Form von Spinnennetzen. Das kurze Haar war schwarz gefärbt und zurückgegelt, aber auch das war nichts Ungewöhnliches.
Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, keine verkommene Drogenhöhle, in der zugedröhnte Kinder herumhingen. Das Wohnzimmer war ein alter Raum mit Kamin, komplett mit Schürhaken und Zangen. Aber die standen nur zur Zierde herum, denn in der Esse brannte ein Gasfeuer. Durch die halb geöffneten Fenster fiel Sonnenlicht, die Geräusche und Gerüche der South Market Street drangen herauf: Abgase, Gehupe, warmer Teer, frisch gebackenes Brot, Curry und Tauben auf den Dächern. Banks und Annie sahen sich in dem kleinen Zimmer um, während das Mädchen Sitzsäcke für sie zurechtrückte.
»Elizabeth, richtig?«, fragte Banks.
»Liz ist mir lieber.«
»Gut. Ist Ryan nicht da?«
»Er hat Unterricht.«
»Wann kommt er zurück?«
»Nicht vor dem Abendessen.«
»Was machen Sie so, Liz?«
»Ich mache Musik.«
»Können Sie davon leben?«
»Sie wissen ja, wie das ist...«
Das wusste Banks, sein Sohn war ja im selben Geschäft. Auch wenn Brian ungewöhnlich erfolgreich war, verdiente er das Geld nicht in rauen Mengen. Nicht mal genug für ein neues Auto. »Sie wissen, warum wir hier sind, nicht wahr?«
Liz nickte. »Wegen Luke.«
»Sie hätten sich melden können. Das hätte uns eine Menge Ärger erspart.«
Liz setzte sich. »Aber ich weiß nichts.«
»Das lassen Sie besser uns beurteilen«, sagte Banks. Er musterte die CD-Sammlung. Ihm war eine Kassette mit der Aufschrift »Songs from a Black Room« aufgefallen, die zwischen vielen anderen Bändern lag.
»Woher sollte ich wissen, dass Sie mich suchen?«
»Lesen Sie keine Zeitung? Sehen Sie nicht fern?«, fragte Annie.
»Nicht viel. Ist langweilig. Das Leben ist zu kurz. Meistens übe ich, höre Musik oder lese.«
»Welches
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