Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
war er genauso gewesen. Auch später noch. Und er war bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu Hause ausgezogen.
»Wann haben Sie Luke zum letzten Mal gesehen?«, fragte Annie.
»Ungefähr eine Woche bevor er verschwand. Bei der Probe.«
Annie sah sich in dem kleinen Raum um und erhob sich. »Wo proben Sie?«
»Unter der Kirche, unten an der Straße. Der Pfarrer ist ziemlich tolerant, so 'n junger Typ, deshalb dürfen wir den Raum benutzen, wenn wir nicht zu viel Krach machen.«
»Und seitdem haben Sie Luke nicht mehr gesehen?«
»Nein.«
»Ist er mal hier gewesen?«, fragte Banks. »In der Wohnung?«
»Klar. Oft.« Liz stand auf, als glaubte sie, die Gäste wollten gehen.
»Hat er mal was dagelassen?«
»Was denn?«
»Irgendwas von seinen Sachen. Sie wissen schon - Notizhefte, Gedichte, Erzählungen, Klamotten, so was halt. Wir brauchen alles, was uns helfen könnte herauszufinden, was mit ihm passiert ist.«
»Er hat hier nie Klamotten liegen lassen«, sagte Liz kühl, »aber er hat uns manchmal Kassetten mit Liedern gegeben, wenn Sie das meinen. Und Texte. Aber ...«
»Könnten Sie die für uns zusammensuchen?«
»Denk schon. Ich meine, ich weiß nicht, was wir dahaben und wo es rumfliegt. Jetzt sofort? Können Sie nicht noch mal wiederkommen ?«
»Jetzt wäre gut«, sagte Banks. »Wir helfen Ihnen gerne beim Suchen, wenn Sie möchten.«
»Nein! Ich meine, ist nicht nötig. Ich find das schon.«
»Ist hier irgendwas, das wir nicht sehen sollen, Liz?«
»Nein, nichts. Wir haben nur ein paar Bänder, Gedichte und Textentwürfe. Ich wüsste nicht, wie Ihnen das helfen sollte. Hören Sie ... bekomme ich die Sachen zurück?«
»Warum sollten Sie die zurückbekommen?«, fragte Annie. »Das war Lukes Eigentum, oder?«
»Theoretisch schon. Aber er hat sie uns gegeben. Der Band. Uns allen.«
»Trotzdem geht das höchstwahrscheinlich an die Familie«, erklärte Banks.
»An Lukes Eltern ? Aber denen ist es vollkommen egal. Die können nicht...«
»Was können sie nicht, Liz?«
»Ich wollte sagen, die wissen seine Begabung nicht zu schätzen. Die werden die Sachen einfach wegwerfen. Wie können Sie das verantworten?«
»Kann ich nichts gegen machen. So ist das Gesetz.«
Liz hatte die Arme verschränkt und trat von einem Fuß auf den anderen, als ob sie zur Toilette müsste. »Hören Sie, könnten Sie nicht später noch mal wiederkommen, damit ich ein bisschen Zeit habe, alles zusammenzusuchen?«
»Das geht leider nicht, Liz. Tut mir Leid.«
»Sie nehmen also alles mit und geben es Lukes Eltern, einfach so? Sie lassen mir nicht mal Zeit, Kopien zu machen?«
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, erinnerte Annie sie.
»Trotzdem ...« Liz setzte sich, den Tränen nahe. »Das ist nicht fair. So eine Verschwendung ... ach, Mensch. Seinen Eltern ist es völlig egal. Wir waren so nah dran.«
»Woran?«
»Etwas aus uns zu machen.«
Die junge Frau tat Banks Leid. Er nahm an, dass sie Lukes Kassetten und Texte aus egoistischen Gründen behalten wollte, damit die Band irgendwann Kapital aus Luke und seinem Vater schlagen konnte. Wenn ihnen schon Lukes Stimmme und Talent fehlten, konnten sie wenigstens versuchen, sein Material zu verwerten. Dass Luke ermordet worden war, würde das öffentliche Interesse zweifellos erhöhen. Aber deswegen dachte Banks nicht schlecht von Liz. Wahrscheinlich hätte er in ihrer Situation dasselbe getan. Wenn jemand mit solcher Inbrunst eine Musikkarriere anstrebte ... Er glaubte nicht, dass es ihre ehrlichen Gefühle für Luke minderte. Banks störte etwas anderes: Liz hatte sonderbar reagiert, als er angeboten hatte, beim Suchen zu helfen. Er warf Annie einen Blick zu. Es war einer der seltenen Augenblicke, in denen sie die Gedanken des anderen lesen konnten.
»Dürfen wir uns mal ein wenig umsehen?«, fragte Annie.
»Was? Warum? Hab ich doch schon gesagt. Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen.« Liz stand auf und ging zu den Kassetten, zog drei heraus. »Zuerst mal die hier. Was er geschrieben hat, ist in ...«
»Warum sind Sie so nervös, Liz?«
»Ich bin nicht nervös.«
»Doch, sind Sie. Ich glaube, wir sollten uns mal genauer umsehen.«
»Das können Sie nicht. Dafür brauchen Sie einen Durchsuchungsbeschluss.«
Banks seufzte. Schon wieder. »Wollen Sie das wirklich?«, fragte er. »Wir können einen
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