Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
gebrauchen. Michelle hatte ihre eigenen Probleme. Wie alle ab einem gewissen Alter, trug sie eine Menge Ballast mit sich herum. Aber konnte man sich denn nicht arrangieren? Warum konnte man nicht einfach den Ballast abwerfen und das Leben genießen? Warum war Unglück so anhänglich und Glück so verdammt flüchtig?
Eine Straßenecke weiter blieb Banks stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Kaum hatte er das Feuerzeug hervorgeholt, traf ihn etwas am Rücken. Er stolperte und drehte sich um. Nur flüchtig sah er eine Stupsnase und Schweinsäuglein, dann bekam er eine Faust ins Gesicht und verlor das Gleichgewicht. Beim zweiten Schlag ging er zu Boden. Er fühlte einen stechenden Schmerz im Rücken. Ein Tritt in den Bauch brachte ihn zum Würgen.
Undeutlich hörte er einen Hund bellen und eine Männerstimme rufen. Sein Gegenüber hielt inne und flüsterte: »Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist, sonst lernst du mich noch kennen!« Dann verschwand er in der Dunkelheit.
Banks kniete sich hin. Ihm war schlecht. Er ließ den Kopf hängen. O Gott, er wurde zu alt für solche Abenteuer. Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine gaben nach. Da fasste ihn eine Hand am Ellenbogen und half ihm, sich aufzurichten.
»Ist alles in Ordnung, Mister?« Banks wankte und atmete mehrmals tief durch. Schon besser. Zwar drehte sich noch alles, aber wenigstens konnte er wieder sehen. Neben ihm stand ein junger Mann mit einem Jack-Russell-Terrier an der Leine. »Ich geh gerade mit dem Hund spazieren, da hab ich gesehen, wie zwei Männer auf Sie losgegangen sind.«
»Zwei? Ganz bestimmt?«
»Ja. Sie sind Richtung Stadtmitte verschwunden.«
»Danke«, sagte Banks. »Das war sehr mutig von Ihnen. Wenn Sie nicht gewesen wären ...«
»Kann ich irgendwas für Sie tun? Ein Taxi rufen oder so?«
Banks versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
»Nein«, sagte er. »Nein, danke. Eine Freundin von mir wohnt direkt um die Ecke. Ich komme zurecht.«
»Ganz bestimmt?«
»Ja. Und noch mal danke. Heutzutage gibt es nicht viele, die sich einmischen.«
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.« Er zog mit seinem Hund von dannen und schaute sich noch mehrmals um.
Immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen, kehrte Banks zu Michelles Wohnung zurück und klingelte. Kurz darauf erklang knisternd ihre Stimme. »Ja? Wer ist da?«
»Ich bin's, Alan.«
»Was ist los?«
»Ich hab einen kleinen Unfall gehabt. Könnten Sie vielleicht ...«
Noch ehe Banks den Satz beendet hatte, ließ Michelle ihn ein. Er stieg zu ihrer Wohnung hoch. Mit besorgter Miene stand sie auf der Schwelle und half ihm zum Sofa. Das hätte Banks zwar noch allein geschafft, aber es war eine nette Geste von ihr.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Ich bin überfallen worden. Gott sei Dank gibt es Hundebesitzer, sonst läge ich wahrscheinlich schon im Fluss. Lustig, was? Damals hatte ich Angst, ich würde in die Nene geworfen, und heute wäre ich auch fast drin gelandet.«
»Sie schweifen ab«, sagte Michelle. »Setzen Sie sich.«
Banks war noch ein wenig schwindelig und übel. »Ich brauche nur ein paar Minuten«, sagte er. »Dann geht's wieder.«
Michelle reichte ihm ein Glas. »Trinken Sie!«
Banks trank. Cognac. Ein guter. Er genoss es, als sich die wärmende Flüssigkeit in seinem Körper verteilte. Er konnte wieder klarer denken. Es hätte schlimmer ausgehen können. Die Rippen taten weh, aber er hatte nicht das Gefühl, als sei etwas gebrochen. Banks schaute auf, Michelle stand vor ihm.
»Wie geht es Ihnen jetzt?«
»Schon viel besser, danke.« Banks trank noch einen Schluck. »Hören Sie, ich rufe jetzt ein Taxi. In diesem Zustand ist mir nicht so recht nach Autofahren, und schon gar nicht nach dem Cognac.« Er hob das Glas. Michelle schenkte aus der Flasche Courvoisier VSOP nach und goss sich ebenfalls eine großzügige Portion ein.
»Gut«, sagte sie. »Aber zuerst sehe ich mir Ihre Nase an.«
»Nase?« Banks merkte, dass seine Nase und Oberlippe taub waren. Er fuhr mit den Fingern darüber. Blut.
»Ich glaube nicht, dass sie gebrochen ist«, sagte Michelle und führte Banks ins Badezimmer, »aber ich mache sie noch sauber und klebe ein Pflaster drauf. An der Lippe ist auch eine kleine Wunde. Ihr Angreifer muss einen Ring oder so gehabt haben.«
Das Badezimmer war klein, fast zu klein für zwei. Banks stand
Weitere Kostenlose Bücher