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Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall

Titel: Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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Ohren.
     
    Gristhorpe hatte gut reden, Annie solle sich schön ausschlafen. Sie konnte nicht. Sie hatte noch eine Paracetamol genommen und war früh ins Bett gegangen, aber die Schmerzen waren stärker geworden. Alle Zähne taten ihr weh, zwei wackelten.
      Der Schlag von Armitage hatte sie stärker erschüttert, als sie gegenüber Banks oder Gristhorpe hatte zugeben wollen. Sie hatte sich dabei genauso gefühlt wie vor fast drei Jahren, als sie vergewaltigt worden war: wehrlos. Nie wieder hatte sie dieses Gefühl empfinden wollen, aber in Norman Wells' engem, dumpfem Buchkeller war sie wieder da gewesen, diese tief sitzende, den Atem abschnürende Angst einer Frau vor männlicher Kraft und roher Gewalt.
      Annie stand auf, ging nach unten und goss sich mit zitternden Händen ein Glas Milch ein. Sie trank es im Dunkeln am Küchentisch und dachte an das erste Mal, als Banks bei ihr gewesen war. In der Küche hatten sie zusammen gegessen, draußen war es dunkler geworden. Die ganze Zeit hatte sie sich gefragt, wie sie reagieren würde, wenn er ihr näher käme. Immerhin war es ihre Idee gewesen, ihn zu sich einzuladen. Sie hatte ihm angeboten, etwas zu kochen, anstatt, wie er vorgeschlagen hatte, in einem Restaurant oder Pub essen zu gehen. Hatte sie da schon gewusst, was passieren würde? Sie glaubte es nicht.
      Je später der Abend, desto lockerer waren sie geworden, der in Strömen fließende Chianti hatte seinen Teil dazu beigetragen. Als Banks rauchen wollte, leistete sie ihm im Hof Gesellschaft. Er legte den Arm um sie. Sie hatte gezittert wie ein Teenager und tausend Gründe vorgeschoben, warum sie aufhören sollten.
      Aber sie hatten nicht aufgehört. Und dann hatte Annie die Beziehung beendet. Manchmal tat es ihr Leid, und sie fragte sich, warum sie es getan hatte. Ein Grund war natürlich der Job. Mit dem Chief Inspector ins Bett zu gehen, mit dem man zusammenarbeitet, war einfach unprofessionell. Aber vielleicht war das nur eine Ausrede. Es hätte ja Ausweichmöglichkeiten gegeben. Sie hätte sich auf ein anderes Revier versetzen lassen können, wo ihre Chancen genauso gut oder sogar besser waren als im Präsidium der Western Area.
      Es stimmte; Banks hing immer noch an der Vergangenheit, an seiner Ehe, aber damit wäre sie zurechtgekommen. Das hätte irgendwann nachgelassen. Jeder hatte emotionalen Ballast, auch Annie. Nein, dachte sie, die Gründe für ihre Entscheidung lagen bei ihr selbst, nicht bei ihrer Arbeit, nicht in Banks' Vergangenheit. Sie hatte seine Nähe als bedrohlich empfunden, und je näher sie ihm gekommen war, desto stärker war das Gefühl geworden, keine Luft zu bekommen. Deshalb musste sie sich von ihm trennen.
      Würde das bei jedem Mann so sein? Lag das an der Vergewaltigung? Wahrscheinlich. Jedenfalls teilweise. Würde sie dieses Ereignis jemals völlig verwinden können? Was in jener Nacht passiert war, hatte sie sehr tief verletzt. Irreparabel war es wohl nicht, aber sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Hin und wieder wurde sie von Albträumen gequält, und obwohl sie es Banks nie erzählt hatte, hatte sie manchmal keine Lust auf Sex gehabt, gelegentlich hatte es sogar weh getan. Allein das Eindringen, auch wenn sie es noch so ersehnte und Banks unglaublich sanft war, hatte die Panik und das Gefühl der Ohnmacht in ihr aufsteigen lassen, das sie in jener Nacht kennen gelernt hatte. Natürlich besaß Sexualität eine dunkle Seite. Sie konnte teuflisch sein, aggressiv, konnte gefährliche, kaum vorstellbare Gelüste wecken und dunkle Bereiche jenseits aller Tabus berühren. Kein Wunder, dachte Annie, dass Sexualität so oft in einem Atemzug mit Gewalt genannt wurde. Oder dass Sex und Tod in den Werken vieler Schriftsteller und Künstler eng miteinander verbunden waren.
      Annie leerte ihr Glas und versuchte, die morbiden Gedanken abzuschütteln. Es gelang ihr nicht. Sie stellte den Wasserkocher an, ging ins Wohnzimmer und begutachtete ihre kleine Video-Sammlung. Schließlich entschied sie sich für Doktor Schiwago, immer schon einer ihrer Lieblingsfilme, und als der Tee fertig war, machte sie es sich mit dampfendem Becher im Schneidersitz auf dem Sofa bequem. Im Dunkeln genoss sie die unvergessliche Filmmusik und die heroische Geschichte über die Liebe in den Zeiten der Revolution.
     
    Banks ging nach unten und versuchte, nicht allzu enttäuscht zu sein. Auch gut, sagte er sich; sich bei einer Frau zum Narren zu machen, konnte er nun wirklich nicht

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