Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
zu rauchen, und es fiel ausreichend Licht hinein, um sich die Schmutzblätter anzusehen. Banks erinnerte sich, wie es dort gerochen hatte, der Geruch lag ihm buchstäblich in der Nase. Kiefernnadeln. Oder so was Ähnliches. Sie bildeten einen weichen Teppich.
An jenem Tag hatte Graham zwei Magazine unter dem Hemd versteckt, die er mit schwungvoller Geste hervorzauberte. Wahrscheinlich hatte er gesagt: »Hab euch was Nettes mitgebracht, Jungs.« Das wusste Banks nicht mehr genau.
In den nächsten Stunden hatten die drei Jugendlichen staunend die unglaublichsten und aufregendsten Bilder betrachtet, die sie je in ihrem Leben gesehen hatten. Da wurden Dinge gemacht, von denen sie noch nicht mal geträumt hatten.
Gemessen an heutigen Standards war es ziemlich harmlos, aber im Sommer 1965 war es für einen Vierzehnjährigen aus der Provinz ein Schock, in Farbe zu sehen, wie eine Frau einen Penis im Mund hatte oder ein Mann seinen Penis einer Frau in den Hintern schob. Tiere waren nicht dabei gewesen, und auf keinen Fall Kinder. Am besten erinnerte sich Banks an Bilder von Frauen mit unglaublich großen Busen - manche hatten Sperma auf Gesicht und Brust - und an gut ausgestattete Männer, die über den Frauen standen oder von ihnen geritten wurden. Graham verlieh die Zeitschriften nicht, sie konnten sie also nur dort, an Ort und Stelle, unter dem Baum betrachten. Die Zeitschriften hatten ausländische Namen und Bildunterschriften gehabt. Deutsch oder Französisch war es nicht gewesen, die beiden Sprachen kannte Banks aus der Schule.
Graham hatte zwar nicht regelmäßig etwas mitgebracht, aber Banks konnte sich an mehrere Gelegenheiten in dem Sommer erinnern, als Graham Pornos dabeihatte. Jedes Mal was anderes. Und dann war Graham verschwunden, und Banks hatte diese Art von Porno erst als Polizist wiedergesehen.
War das nun ein Anhaltspunkt oder nicht? Wie Michelle in der letzten Nacht gesagt hatte, konnte man sich schlecht vorstellen, dass jemand wegen Pornos tötete, auch damals nicht. Aber wenn mehr dahinter steckte - die Kray-Brüder beispielsweise - und wenn Graham in illegale Geschäfte verwickelt gewesen war, wenn er nicht einfach nur Zeitschriften ausgeliehen hatte, dann konnte es mit seiner Ermordung zu tun haben. Es war jedenfalls einen näheren Blick wert. Banks musste einen Anhaltspunkt finden.
Mit der Zeitung gegen das Bein schlagend, überquerte er die viel befahrene Straße und eilte ins Haus, bevor das Frühstück kalt wurde. Seine Mutter heute abermals gegen sich aufzubringen, war keine gute Idee.
Obwohl sie wenig geschlafen hatte, saß Michelle wieder sehr früh am Schreibtisch. Detective Superintendent Shaw hatte bestimmt noch nicht die Augen aufgeschlagen. Wenn er sich überhaupt die Mühe machte herzukommen. Vielleicht feierte er noch einen Tag krank. Michelle konnte jedenfalls gut darauf verzichten, dass er schnaufend neben ihr saß, während Banks im Vernehmungsraum das Verbrecherarchiv durchsuchte. Es waren Kollegen im Büro, daher konnte sie Banks nur kurz begrüßen und ihm die Vorgehensweise erklären. Er hatte wählen können, ob er den Computer oder das altmodische Fotoalbum bevorzugte, und er hatte sich für die Alben entschieden.
Als er hereinkam, war Michelle ein wenig zurückhaltend gewesen. Noch immer konnte sie kaum glauben, dass sie einfach so mit ihm geschlafen hatte, auch wenn sie es sich gewünscht hatte. Es war nicht so, dass sie sich hatte aufsparen wollen, dass sie Angst gehabt oder das Interesse an Sex verloren hätte, nur hatten die Folgen von Melissas Tod und das Ende ihrer Ehe sie völlig aus der Bahn geworfen. Über so etwas kam man nicht in einer Nacht hinweg.
Dennoch staunte sie über ihre neu entdeckte Kühnheit und errötete noch jetzt bei der Erinnerung an die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte. Sie wusste nichts über Banks' Privatleben, nur dass seine Scheidung kurz bevorstand. Sie hatte mit ihm nicht über seine Frau oder seine Kinder gesprochen. Michelle war neugierig. Sie hatte aber auch nichts von Melissa und Ted erzählt, wusste auch nicht, ob sie es tun würde. Fürs Erste jedenfalls nicht. Es tat zu sehr weh.
Das einzige Hindernis war, dass Banks ebenfalls bei der Polizei war. Aber wo sonst sollte sie jemanden kennen lernen? Beziehungen wurden oft auf der Arbeit geknüpft. Außerdem war North Yorkshire weit entfernt von Cambridgeshire, und wenn der Fall Graham Marshall erst geklärt war, würden sie mit
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