Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
sich, um »normal« zu wirken. Selbst nach der Legalisierung der Homosexualität war diese Lebensweise mit großem Makel behaftet, insbesondere in den chauvinistischen Arbeitersiedlungen, wo die drei gelebt hatten. Und bei der Polizei. Wie schwer es wohl für Paul gewesen war, sich seine Neigungen einzugestehen und öffentlich dazu zu bekennen. Jet Harris war nie dazu in der Lage gewesen. Banks hätte sein Haus darauf verwettet, dass jemand über Jet Harris Bescheid gewusst und das Wissen zu seinem Vorteil ausgenutzt hatte. Jet Harris war nicht korrupt gewesen, er wurde erpresst.
Immer wieder erzählte Dave, er wäre total baff gewesen, als er gehört hätte, dass Paul unter die »Arschficker« gegangen sei. Banks kehrte in Gedanken zu dem Foto zurück, das er in Grahams Gitarre gefunden hatte. Er hatte Mr. und Mrs. Marshall nichts davon erzählt, nur Michelle hatte er über Handy mitgeteilt, dass er das Foto vor seiner Verabredung mit den alten Freunden in seinem alten Kinderzimmer versteckt hatte. Was hatte das Bild zu bedeuten, und warum war es in der Gitarre? Graham musste es dort hineingeklebt haben, damit es niemand fand. Aber warum hatte sich das Bild in seinem Besitz befunden, warum hatte er dafür posiert, wer hatte es aufgenommen und wo war es gemacht worden? Der Kamin war auffällig genug. Ein Kamin der Marke Adam, vermutete Banks. Davon gab es nicht viele.
Zwar fielen Banks verschiedene Antworten auf die Fragen ein, aber sie ergaben kein vollständiges Bild. Bei dem Telefongespräch hatten Michelle und er festgestellt, dass sie sich über zwei Dinge einig waren: Erstens hing das Foto mit Grahams Ermordung zusammen, zweitens waren Donald Brad-ford und Jet Harris in irgendeine schmutzige Angelegenheit verwickelt gewesen. Vielleicht auch Carlo Fiorino und Bill Marshall. Aber es fehlten noch Puzzleteile.
Banks und Dave brachten die Getränke an den Tisch. Paul fragte: »Könnt ihr euch an die alte Musikbox erinnern?«
Banks nickte. Für einen außerhalb liegenden Provinzpub hatte das Wheatsheaf eine große Musikbox gehabt. Die Freunde steckten fast genauso viel Geld hinein, wie sie für Bier ausgaben. Damals, mit sechzehn, hatten sie die beliebten Lieder der Sechziger gehört: »A Whiter Shade of Pale« von Procul Harum, die Flowerpot Men mit »Let's Go to San Francisco« und die Beatles mit der »Magical Mystery Tour«.
»Was hörst du heute so, Alan?«, fragte Dave.
»Von allem ein bisschen, würde ich sagen«, erwiderte Banks. »Jazz, Klassik, manchmal unsere Oldies von damals. Und du?«
»Nicht viel. Irgendwie hab ich in den Siebzigern, als die Kinder kamen, den Draht zur Musik verloren. Bin nicht wieder richtig reingekommen. Aber weißt du noch, was wir uns bei Steve sonntagnachmittags immer anhören mussten? Dylan und so was.«
Banks lachte. »Steve war seiner Zeit voraus. Wo ist er überhaupt? Das muss er doch mitbekommen haben, hat denn keiner mehr Kontakt zu ihm?«
»Wisst ihr denn nicht Bescheid?«, fragte Paul.
Banks und Dave schauten Paul ahnungslos an. »Was denn?«
»Scheiße. Ich dachte, ihr wüsstet Bescheid. Tut mir Leid. Steve ist tot.«
Banks lief ein Schauer über den Rücken. Es war schlimm genug, in ein Alter zu kommen, in dem die ältere Generation langsam wegstirbt, aber es war noch mal etwas anderes, sich mit der Sterblichkeit der eigenen Generation auseinander zu setzen. »Woran ist er gestorben?«, wollte Banks wissen.
»Lungenkrebs. Vor gut drei Jahren. Ich weiß es nur, weil seine Eltern mit meinen Kontakt gehalten haben. Weihnachtskarten und so. Ich hatte ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Hab gehört, er hatte zwei Kinder.«
»Der Arme«, sagte Dave.
Nach einem kurzen Schweigen hoben sie die Gläser und tranken auf Steve, einen der ersten Dylan-Fans. Dann stießen sie nochmals auf Graham an. Da waren's nur noch drei.
Banks betrachtete seine beiden alten Freunde genauer. Dave hatte sein Haar zum größten Teil verloren, Paul war grau geworden und hatte stark zugenommen. Banks wurde schwermütig. Selbst der Gedanke an die vergangene Nacht mit Michelle konnte seine Wehmut nicht vertreiben. Banks' Lippe brannte und seine linke Seite schmerzte vom Tritt des Angreifers. Am liebsten hätte sich Banks betrunken, aber er wusste, dass es bei so einer Laune nichts brachte. In diesem Zustand konnte er noch so viel trinken, das ersehnte Vergessen stellte sich nicht ein. Dabei musste er an diesem Abend nicht mehr
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