Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Leuten.«
»Sich abfindet?«
»Die Ehe mit John war kein Spaziergang.«
»Aber sie muss doch auch ihre guten Seiten gehabt haben.«
Mrs. Gifford runzelte die Stirn. »Welche guten Seiten?«
»Das vornehme Leben?«
Mrs. Gifford lachte. »Vornehmes Leben? Meine Liebe, solange wir verheiratet waren, haben wir in der langweiligen kleinen Doppelhaushälfte in Peterborough gewohnt. Das ist wohl kaum ein vornehmes Leben.«
»Ich weiß nicht, wie ich es geschickt ausdrücken soll«, sagte Michelle.
»Dann reden Sie frei von der Leber weg. Ich hab den Sachen schon immer ins Auge gesehen. Na los, raus mit der Sprache!«
»Es gibt Unregelmäßigkeiten in der ursprünglichen Ermittlung des Graham-Marshall-Falls. Es sieht aus, als wäre sie absichtlich in eine bestimmte Richtung gesteuert worden, als wären andere Anhaltspunkte nicht verfolgt worden, und ...«
»Und John war derjenige, der das gesteuert hat?«
»Nun ja, er war der Verantwortliche.«
»Und Sie möchten wissen, ob er Geld dafür bekommen hat?«
»Die Schlussfolgerung liegt nahe. Können Sie sich an Carlo Fiorino erinnern?«
»Der Name sagt mir was. Ist lange her. Wurde er nicht bei einem Drogenkrieg erschossen?«
»Ja, aber davor hatte er die Gegend so ziemlich unter seinen Fittichen.«
Mrs. Gifford lachte. »Tut mir Leid, meine Liebe«, sagte sie, »aber die Vorstellung, dass so ein Mafia-Verschnitt im verschlafenen Peterborough das große Geld macht, ist ... nun ja, gelinde ausgedrückt, lächerlich.«
»Er gehörte nicht zur Mafia. Er war nicht mal Italiener. War der Sohn eines Kriegsgefangenen und eines hiesigen Mädchens.«
»Trotzdem, es klingt absurd.«
»Wo Menschen sind, gibt es Verbrechen, Mrs. Gifford. Und Peterborough wuchs damals rasend schnell. Das New-Town-Programm. Es gibt nichts Besseres als einen schnell expandierenden Markt. Die Leute wollen spielen, sie wollen Sex, sie wollen Sicherheit. Wenn man ihre Bedürfnisse befriedigt, kann man damit ordentlich Kasse machen. Und es wird noch leichter, wenn man einen einflussreichen Polizeibeamten in der Tasche hat.« So grob hatte es nicht herauskommen sollen, aber Michelle wollte von Mrs. Gifford ernst genommen werden.
»Sie wollen also sagen, John wäre bestechlich gewesen?«
»Ich frage Sie, ob Ihnen etwas aufgefallen ist, das die Annahme nahe legt, Ihr Mann hätte eine zusätzliche Einnahmequelle gehabt, ja.«
»Nun, falls es so war, dann habe ich nie etwas von dem Geld gesehen. So viel ist sicher.«
»Wo ist denn alles geblieben? Bei Wein, Weib und Gesang?«
Wieder lachte Mrs. Gifford. Dann drückte sie die Zigarette aus. »Meine Liebe, John hat nie was anderes als Bier und Whisky getrunken. Für Musik hatte er kein Ohr, und das mit den Frauen können Sie vergessen. Außer meinem zweiten Gatten habe ich das nie jemandem erzählt, aber Ihnen werde ich es jetzt sagen: John Harris war stockschwul.«
»Noch 'ne Runde?«
»Ich bezahle«, sagte Banks.
»Ich komme mit.« Dave Grenfell stand auf und begleitete Banks zum Tresen. Der alten Zeiten zuliebe waren sie ins Wheatsheaf gegangen, wo sie mit sechzehn ihr erstes Glas Bier getrunken hatten. Im Laufe der Jahre war die Kneipe verschönert worden, sie war jetzt viel schicker als die schäbige viktorianische Seitenstraßenspelunke von damals. Wahrscheinlich kamen zur Mittagszeit die Angestellten aus dem neuen Büropark auf der anderen Straßenseite herüber. Jetzt allerdings, am frühen Abend, war der Raum so gut wie leer.
Beim ersten Glas hatten sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht, und nun wusste Banks, dass Dave, wie sein Vater bereits erzählt hatte, noch immer als Automechaniker in einer Werkstatt in Dorchester arbeitete und mit Ellie verheiratet war und Paul überzeugter Arbeitsloser und schwul war. Kurz zuvor hatte Banks mit Michelle telefoniert. Sie hatte von ihrem Gespräch mit Mrs. Gifford über Jet Harris berichtet. Deshalb war der Schock für Banks nicht so groß, als er von Pauls Homosexualität erfuhr. Ihn wunderte nur, dass er als Kind keinerlei Anzeichen dafür bemerkt hatte. Aber er hätte sie wohl sowieso nicht erkannt. Damals hatte Paul genau wie die anderen nach den Pornobildern gegiert und über Schwulenwitze gelacht. Banks meinte sich noch zu erinnern, dass Paul irgendwann eine feste Freundin gehabt hatte.
Aber 1965 verleugneten sich die Menschen, sie heuchelten und verbogen
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