Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
anderen Grafschaft, aber irgendwie waren alle Vernehmungszimmer gleich: Tisch und Stühle im Boden verankert, weit oben ein vergittertes Fenster, Wände in Behördengrün und dazu der unvergleichliche Angstgeruch.
Natürlich hatte Banks keinen Grund, sich unwohl zu fühlen, dennoch wurde er ein wenig nervös, als DI Hart eine ovale Lesebrille mit silberner Fassung aufsetzte und die Unterlagen vor sich zusammenschob, genau wie er es so viele Male gemacht hatte, um die Spannung zu erhöhen und den ihm Gegenübersitzenden zu verunsichern. Das war sein empfindlicher Nerv, die Angst vor Obrigkeit, obwohl er inzwischen selbst zur Obrigkeit gehörte. In dieser Situation wurde Banks dieses Paradox besonders deutlich.
Er fand, DI Hart habe es nicht nötig, ihn so zu behandeln. Sie trug etwas zu dick auf. Das war vielleicht seine Schuld, weil er sich nicht ausgewiesen hatte, aber dennoch war es ein bisschen übertrieben, sich mit ihm in einem offiziellen Vernehmungszimmer zu unterhalten. Schließlich war er aus freien Stücken gekommen, war weder Zeuge noch Verdächtiger. Sie hätte ein leeres Büro suchen und ihm Kaffee bringen lassen können. Was hätte er an ihrer Stelle getan? Wahrscheinlich dasselbe; es war dieses »Wir und die anderen«, und in ihren Augen war er ein Bürger, gehörte zur anderen Seite.
DI Hart hörte auf, mit den Papieren zu rascheln, und brach das Schweigen: »Sie sagen, Sie könnten bei den Ermittlungen im Fall Graham Marshall helfen?«
»Eventuell«, sagte Banks. »Ich habe ihn gekannt.«
»Haben Sie irgendeine Idee, was mit ihm passiert sein könnte?«
»Leider nicht«, sagte Banks. Er hatte vorgehabt, ihr alles zu erzählen, doch jetzt zeigte sich, dass es gar nicht so einfach war. Noch nicht. »Wir waren einfach befreundet.«
»Wie war er so?«
»Graham? Schwer zu sagen«, erwiderte Banks. »Wenn man Kind ist, denkt man über solche Sachen nicht nach, oder?«
»Versuchen Sie es jetzt.«
»Er war ein stilles Wasser, glaub ich. Auf jeden Fall war er ruhig. Die meisten Kinder waren auch mal albern, machten Blödsinn, aber Graham war immer eher ernst.« Banks erinnerte sich an Grahams angedeutetes, fast verstohlenes Lächeln, wenn die anderen Clownereien zum Besten gaben: als finde er es nicht witzig und lache nur, weil man es von ihm erwartete. »Man hatte immer das Gefühl, nicht genau zu wissen, was in seinem Kopf vorging«, fügte er hinzu.
»Meinen Sie, er hatte Geheimnisse?«
»Haben wir die nicht alle?«
»Und was waren seine?«
»Es wären kaum Geheimnisse, wenn ich sie gekannt hätte, oder? Ich versuche nur, Ihnen eine Vorstellung zu vermitteln, wie er so war. Und er war irgendwie verschlossen.«
»Aha.«
Sie wurde langsam ungeduldig, merkte Banks. War vielleicht ein harter Tag gewesen, und sie war ganz auf sich allein gestellt. »Wir haben ganz normale Sachen gemacht: Fußball oder Cricket gespielt, Musik gehört, über unsere Lieblingssendungen im Fernsehen geredet.«
»Was ist mit Freundinnen?«
»Graham sah gut aus. Die Mädchen mochten ihn, und er mochte die Mädchen, aber ich glaube nicht, dass er eine feste Freundin hatte.«
»Hat er irgendwelche Dummheiten gemacht?«
»Tja, ich will mich ja nicht selbst beschuldigen, aber wir haben ein oder zwei Fensterscheiben zerbrochen, ein paarmal etwas geklaut, die Schule geschwänzt und in der Schule hinter dem Fahrradschuppen geraucht. Was Jugendliche damals so machten. Wir sind aber nirgendwo eingebrochen, haben keine Autos geknackt und keine alten Omas ausgeraubt.«
»Drogen?«
»Mit Verlaub, das war 1965!«
»Da waren Drogen schon zu haben.«
»Woher wollen Sie das wissen? Da waren Sie doch noch nicht mal geboren.«
Michelle errötete. »Ich weiß auch, dass König Harold 1066 in der Schlacht von Hastings einen Pfeil ins Auge bekommen hat, und da war ich auch noch nicht geboren.«
»Okay. Sie haben gewonnen. Aber Drogen ... ? Damit hatten wir nichts am Hut. Zigaretten waren für uns so ungefähr das Schlimmste, was es gab. Bei der nächsten Generation in London sind Drogen wahrscheinlich stark im Kommen gewesen, aber nicht bei Vierzehnjährigen in einem Provinznest. Hören Sie, ich hätte das vielleicht schon früher sagen sollen, aber ...« Banks griff in die Innentasche seiner Jacke, holte den Dienstausweis heraus und legte ihn vor DI Hart auf den Tisch.
Michelle schaute auf den Ausweis, nahm ihn in die
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