Inspector Alan Banks 14 Kein Rauch ohne Feuer
in die Otley Road und hielt vor den beeindruckenden Toren des Krematoriums Lawnswood, um einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen. Etwas weiter die Hauptstraße hinunter bog er rechts ab in den wohlhabenden Stadtteil Adel mit seinen gewundenen Straßen.
Schnell fand er das große frei stehende Eckhaus, in dem auch die Arztpraxis untergebracht war. Das würde nicht einfach werden, dachte Banks beim Aussteigen. Marks Vorwürfe gegen Patrick Aspern konnten unbegründet sein, aber Banks war hier, um den Eltern mitzuteilen, dass ihre Tochter tot sei, und sie zu bitten, die Leiche zu identifizieren. Es ging nicht darum, den Stiefvater wegen sexuellen Missbrauchs zu vernehmen. Das konnte noch kommen, wusste Banks, daher würde er Asperns Reaktion auf seine Fragen aufmerksam beobachten müssen.
Banks atmete tief durch und drückte auf die Klingel. Die Frau, die ihm öffnete, sah jünger aus, als er erwartet hatte. Sie war ungefähr in Annies Alter, Anfang dreißig, hatte kurzes, stufig geschnittenes blondes Haar, eine blasse, makellose Haut und eine elfenhafte Ausstrahlung. »Mrs. Aspern?«, fragte Banks.
Die Frau nickte verwirrt und legte die Hand an die Wange.
»Es geht um Ihre Tochter Tina. Ich bin Polizist. Dürfte ich für einen Augenblick hereinkommen?«
»Christine?« Mrs. Aspern nestelte am Halsausschnitt ihres Pullovers herum. »Sie wohnt nicht mehr bei uns. Was ist mit ihr?«
»Dürfte ich bitte hereinkommen?«
Sie ging etwas zur Seite, und Banks betrat den auf Hochglanz polierten Parkettboden. »Erste Tür rechts«, sagte Mrs. Aspern.
Banks tat, wie ihm geheißen, und stand kurz darauf in einem kleinen Wohnzimmer mit einer dunkelblauen dreiteiligen Couchgarnitur und cremefarbenen Wänden, an denen zwei Gemälde hingen, eins über dem dekorativen, aber zweckmäßigen Steinkamin, das andere an der Wand gegenüber. Es waren Landschaftsbilder in einfachen schwarzen Rahmen.
»Ist Ihr Gatte zu Hause?«, fragte Banks.
»Patrick? Er hat gerade Sprechstunde.«
»Könnten Sie ihn bitte holen?«
»Ihn holen?« Sie blickte bestürzt. »Aber ... aber die Patienten ...«
»Ich würde gerne mit Ihnen beiden sprechen. Es ist wichtig.«
Kopfschüttelnd verließ Mrs. Aspern das Zimmer. Banks nutzte die Gunst des Augenblicks und betrachtete die beiden Gemälde etwas genauer. Es waren Aquarelle, im nebligen Morgenlicht gemalt. Das eine zeigte die Kirche St. John the Baptist etwas weiter die Straße hinunter, die Banks in seinen Anfangstagen in Yorkshire zufällig einmal mit seiner Exfrau Sandra besichtigt hatte. Er wusste, dass das gegen Mitte des zwölften Jahrhunderts errichtete Gotteshaus die älteste normannische Kirche von Leeds war. Sandra hatte wunderschöne Fotos gemacht. Es war ein schlichtes Gebäude; berühmt war es für die kunstvollen Steinarbeiten im Altarraum und am Portal, die auf dem Gemälde lediglich angedeutet waren.
Das andere Bild zeigte eine Waldlandschaft; Banks nahm an, es sei der Forst von Adel, wiederum in diesem leichten, übersinnlichen Morgenlicht dargestellt, in dem die Lichtung wie der Zauberwald aus dem Sommernachtstraum wirkte. Die Signatur »Keith Peverell« war auf beiden Werken deutlich zu lesen. Also keine Verbindung zu »Tom«. Banks hatte es auch nicht erwartet.
Wenige Minuten später kehrte Mrs. Aspern mit ihrem sichtlich aufgebrachten Gatten zurück. »Hören Sie«, sagte er, noch ehe sie sich einander vorstellten. »Ich kann meine Patienten wirklich nicht einfach so warten lassen. Können Sie nicht noch mal um fünf Uhr wiederkommen?«
»Leider nicht«, antwortete Banks und zeigte seinen Dienstausweis.
Aspern musterte ihn ausgiebig. Ein unangenehmes Lächeln umzuckte seine Mundwinkel. Er warf seiner Frau einen kurzen Blick zu. »Warum hast du das nicht gesagt, Liebes? Immerhin ein Detective Chief Inspector. Na, das muss ja wichtig sein, wenn sie den großen Zampano schicken. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Banks setzte sich. Da Aspern nun zufrieden war, dass man ihm jemanden geschickt hatte, der seinem sozialen Status gerecht wurde (auch wenn er den Polizeipräsidenten bestimmt vorgezogen hätte), waren die Patienten schnell vergessen. Wahrscheinlich lief es jetzt reibungsloser. Wenn Banks mitspielte.
Aspern war gute fünfzehn Jahre älter als seine Frau, schätzte Banks. Er musste um die fünfzig sein, hatte schütteres blondes Haar und sah mit seinen scharf geschnittenen Zügen eigentlich
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