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Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre

Titel: Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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gewählt, den beide Elternteile nicht guthießen. Roy mit seinen fünf Jahren Abstand hatte seines Bruders Kapriolen beobachtet und daraus gelernt, was er vermeiden musste.
      »Doch, das stimmt«, beharrte Ian Hunt. »Er hat zu Ihnen aufgeschaut, besonders als Kind. Sie haben sich nur nie groß um ihn gekümmert. Sie haben ihn ignoriert. Er fühlte sich vernachlässigt, zurückgewiesen, im Stich gelassen.«
      »Er war mein kleiner Bruder«, sagte Banks.
      Hunt nickte. »Und immer im Weg.«
      Banks erinnerte sich an seine Beziehung zu Kay Summerville, seine erste richtige Freundin. Damals war Roy ungefähr zwölf Jahre alt gewesen, und wenn die Eltern abends in den Pub gingen und Banks Kay zum Schallplattenhören einlud (unter anderem), musste er Roy bezahlen, damit der kleine Bruder in seinem Zimmer blieb. Konnte schon sein, dass Roy immer im Weg gewesen war, aber er hatte Möglichkeiten gefunden, davon zu profitieren.
      »Mir war jedenfalls nicht klar, dass er zu mir aufsah«, sagte Banks. »Man hat es ihm nicht angemerkt.«
      »Ich behaupte ja nicht, dass Roy nicht ehrgeizig wäre. Sie waren beispielsweise gut im Sport. Er nicht, deshalb setzte er alles daran, auf seinen Gebieten gut zu sein. Kompensation.«
      Gut im Sport? Banks war damals ein ganz ordentlicher fliegender Halfback gewesen, schnell und wendig. Beim Kricket war er als Schlagmann kein großer Star, aber ein anständiger mittelschneller Werfer. Roy war ein dickliches, hässliches Kind mit Brille gewesen, alles andere als sportlich, und seine Mitschüler hatten ihn gehänselt und als Streber beschimpft. Einmal war es so schlimm geworden, dass sich Banks einmischte und dem Drangsalieren ein Ende machte. Man konnte also nicht behaupten, dass er sich nie für Roy eingesetzt hätte. Aber es hatte nicht gereicht.
      »Er schaut auch jetzt noch zu Ihnen auf«, fuhr Hunt fort.
      »Das ist ja noch schwerer zu glauben«, entgegnete Banks und fragte sich, was es denn da zu bestaunen gab: eine gescheiterte Ehe und ein undankbarer Job. Wo doch Roy alles besaß: ein schickes Auto, ihm zu Füßen liegende Frauen, ein teures Haus. Aber das war nur materiell, wurde Banks klar. Selbst die Frauen waren bis zu einem gewissen Grad Statussymbole. Seht her, was für eine schöne junge Frau ich habe! Alles nur Show. Roys drei Ehen waren geschieden worden, aus keiner war ein Kind hervorgegangen. Selbst die Verlobung mit Corinne hatte er gelöst. Banks hatte immerhin Brian und Tracy.
      Er merkte, dass Hunt aufgestanden war und gehen wollte. »Tut mir leid«, sagte Banks. »Hab nur über Ihre Worte nachgedacht.«
      »Schon gut«, entgegnete Hunt. »Ich muss los. Tut mir leid, dass ich keine größere Hilfe war. Wenn Sie irgendetwas brauchen, dann melden Sie sich bei mir. Die Gemeinde heißt St. Jude, gleich hier die Straße runter.«
      »Danke. Oh, warten Sie kurz!« Banks holte eines der Digitalfotos und zeigte es dem Pfarrer. »Kennen Sie einen von diesen Männern?«
      Hunt schüttelte den Kopf.
      »Sie haben die nie zusammen mit Roy gesehen?«
      »Nein, nie.«
      Sie verabschiedeten sich, und Ian Hunt ging.
      Vielleicht war es Banks' Fehler gewesen, Roys emotionale Seite zu übersehen. Jetzt hatte er erfahren, dass Roy regelmäßig zur Kirche ging. Das änderte etwas, verlieh dem Ganzen eine unerwartete Dimension. Half ihm das bei der Rekonstruktion dessen, was Roy zugestoßen war? Vielleicht nicht, aber er ging nun anders vor. Bisher hatte er nach anrüchigen Dingen Ausschau gehalten, in die Roy möglicherweise verwickelt war, vor denen er vielleicht geflohen war. Jetzt gab es viel mehr Möglichkeiten. War Roy über etwas gestolpert, das er nicht hatte finden sollen, war er eine Bedrohung für Menschen geworden, mit denen er zuvor eng zusammengearbeitet hatte? Wollte er die Notbremse ziehen, anstatt weiter beide Augen zuzudrücken? Aber um was ging es dabei? Und wem war er zu nahe gekommen?
     
    Lücken in der Wolkendecke ließen grelle Lichtstrahlen durch. Im Westen färbte sich der Himmel zinnoberrot und violett. Vor dem London Eye standen die Menschen Schlange für die letzte Fahrt, ungeduldig vertraten sie sich die Füße im Regen. Auf der Westminster Bridge standen die Leute mit Regenschirmen und Regenkappen und betrachteten das große Riesenrad.
      Die achtjährige Michaela Toth hatte sich schon den ganzen Tag auf die versprochene Fahrt gefreut. Sie sollte der Höhepunkt ihres ersten Wochenendes in London sein -

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