Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
sagte: »Ach, fick dich, Alan. Oder auch nicht, je nachdem.« Dann schlug sie die Haustür hinter sich zu. Als er sie aufriss, saß Annie bereits im Wagen und startete. Banks wusste, dass er sie eigentlich aufhalten müsste, dass sie betrunken war, aber er wusste nicht, wie. Sollte er sie vielleicht vom Fahrersitz zerren und sich selbst hinters Lenkrad setzen? Bei Annies derzeitiger Laune würde sie ihn wahrscheinlich über den Haufen fahren. Banks hörte, wie sie knirschend den Gang einlegte, dann sah er zu, wie sie mit beängstigender Geschwindigkeit in einem Kieselregen wendete. Erneut kreischte die Gangschaltung, dann bog der Wagen ab auf die Straße nach Gratly.
Banks stand vor dem Haus, sein Herz pochte, und er fragte sich, was gerade geschehen war. Dann ging er wieder hinein, und Coltrane setzte zu »My Favourite Things« an.
* 7
Das Büro von Malcolm Austin war im hintersten Winkel der Abteilung für Reise und Tourismus versteckt, die sich wiederum in einem alten viktorianischen Gebäude am Rande des Campus befand. Eastvale College war in den letzten Jahren expandiert; die Glas- und Betonklötze aus den Sechzigern waren nicht mehr groß genug. Anstatt noch mehr nichtssagende Häuserblöcke in die Landschaft zu setzen, hatte die Collegeverwaltung einen Teil des Umlands erworben, auch Straßen mit altem Hausbestand, und dadurch den Südosten von Eastvale neu belebt. Inzwischen war es ein blühender Stadtteil mit beliebten Pubs, Cafes, billigen Imbissbuden und indischen Restaurants, Studentenwohnungen und möblierten Zimmern. Am College gab es sogar richtige Bands, die im neuen Hörsaal spielten, und man sprach davon, dass die Blue Lamps hier das Auftaktkonzert für ihre neue Tournee geben würden.
Das Büro von Austin war im ersten Stock, und als Winsome anklopfte, machte er ihr persönlich auf. Es war ein gemütlicher Raum mit hoher, stuckverzierter Decke und breiten Schiebefenstern. In den Bücherregalen befanden sich Reiseführer aus den unterschiedlichsten Ländern, einige davon sehr alt, an der Wand hing ein Poster der Blauen Moschee von Istanbul. Vor einer anderen Wand stand ein schäbiges schwarzes Ledersofa. Das einzige Fenster ging auf den mit Steinplatten gepflasterten Innenhof, wo unter den Bäumen Studenten an Holztischen in der Frühlingssonne saßen, Sandwiches aßen, sich unterhielten und etwas tranken. Winsome sehnte sich nach ihrer Studentenzeit zurück.
Austin war um die fünfzig, trug das graue Haar modisch lang und zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Er war stark gebräunt, wahrscheinlich einer der Vorteile seines Berufs, vermutete Winsome. Zu einem weiten blauen Zopfpullover trug er eine über den Knien zerrissene Jeans. Er hielt sich in Form und war auf seine schlanke, schlaksige Art attraktiv, hatte kräftige Kieferknochen, eine lange Nase und einen großen Adamsapfel. Winsome bemerkte, dass er keinen Ehering trug. Austin zog einen Stuhl für sie heran und setzte sich hinter seinen kleinen, unaufgeräumten Schreibtisch.
Als Erstes bedankte sich Winsome bei ihm, so früh am Morgen Zeit für sie zu haben.
»Kein Problem«, sagte Austin. »Mein erster Kurs ist um zehn Uhr, und danach wird es mittwochs eigentlich nur noch schlimmer.« Er hatte ein einnehmendes Lächeln, seine Zähne waren sauber und gepflegt. »Es geht um Hayley Daniels, nicht wahr?«
»Ja.«
Austin runzelte seine breite Stirn. »Das ist eine schreckliche Tragödie. Sie war so ein kluges Mädchen.«
»Ja?« Winsome wurde klar, dass sie nichts über Hayleys schulische Leistungen wusste.
»Oh, ja! Und nicht nur schriftlich, nein. Sie hatte auch den richtigen Charakter für diese Art von Arbeit. In der Tourismusindustrie braucht man Persönlichkeit.«
»Das glaube ich gerne«, sagte Winsome. »Wissen Sie, ob Hayley einen Freund hatte, oder wissen Sie von irgendjemandem auf dem Campus, mit dem sie näher zu tun hatte?«
Austin kratzte sich am Kopf. »Das weiß ich wirklich nicht. Sie wirkte sehr gesellig, war immer in der Gruppe unterwegs, nicht mit einer speziellen Person. Ich denke, sie stand gern im Mittelpunkt.«
»Wissen Sie, ob jemand etwas gegen sie hatte?«
»Nicht genug, um sie umzubringen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Vielleicht waren andere Mädchen neidisch auf sie wegen ihrer Figur und ihres Aussehens, wegen ihrer lockeren Art, vielleicht sogar wegen ihrer guten Noten. Es gibt halt Leute, die meinen, man dürfe nicht alles
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