Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
für das investierte Geld bekommen.
Natürlich hatte sie dann im Gegenzug einen kleinen langweiligen Bauunternehmer geheiratet. Aber um fair zu sein, gestand sich Esslyn ein, während er seine Wangenübungen beendete und mit dem Kopfrollen zur Nackenentspannung anfing, daß es ja auch genug Leute gab, die glaubten, Buchführung wäre ein genauso öder Beruf wie das Häuserbauen. Vielleicht sogar noch öder. Esslyn allerdings sah das ganz anders. Für ihn waren das Sortieren und Trennen von Rechnungen und Quittungen, das Ordnen von Haufen wilder Spesenabrechnungen zu Säulen nüchterner, korrekter Bilanzen und das Suchen nach obskuren Kniffen und Gesetzeslücken, die es ihm ermöglichten, die Steuerbelastung seines Klienten zu senken, eine tägliche Herausforderung, die er sich nicht scheute, als einen kreativen Prozeß zu bezeichnen.
Esslyn bevorzugte es, die Abrechnungen einzelner Personen zu bearbeiten. Sein Partner, ein Spezialist in Firmenrecht, bearbeitete vornehmlich größere Konzerne, mit einer einzigen Ausnahme, nämlich der Wohltätigkeitsstiftung, die das Latimer förderte. Als Insider mit genauen Kenntnissen des Ensembles hatte Esslyn diese Aufgabe automatisch übernommen, wie er auch die Abrechnungen für Harolds Im-port-Export-Firma machte, die zwar bescheiden, aber nicht uninteressant war. Er berechnete Harold nie soviel, wie er von einem Fremden verlangt hätte, und er fragte sich manchmal, ob Harold das überhaupt zu schätzen wußte.
Als er am Ende dieser Erinnerungsprozesse und des Kopfrollens angelangt war, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Kitty zu. Als sie das bemerkte, fuhr sie sich mit einer koketten Geste durch die hochgesteckten Locken, eine Geste, die einem weniger selbstgefälligen Ehemann etwas zu kalkuliert erschienen wäre. Dann bewunderte sie ihren Hals im Spiegel. Auch Esslyn tat das. Nicht eine Unreinheit, kein Pickelchen und keine Falte waren dort zu sehen. Sie hatte ein hübsches, kleines Gesicht. Nicht klar genug geformt, um es als herzförmig zu bezeichnen, hatte es eher etwas von einem Fuchs. Doch durch die eng zusammenstehenden funkelnden Augen bekam es etwas sehr Ansprechendes. Nun stand sie auf, strich über ihrem Bauch, der immer noch nicht runder war als zu der Zeit ihres gemeinsamen Gerangels im Requisitenraum, den rosafarbenen Stoff des Nachthemdes glatt und lächelte in den Spiegel.
Esslyn antwortete nicht mit einem Lächeln, sondern mit einem selbstzufriedenen Nicken. Er ging sehr sparsam mit seinem Lächeln um, das er nur zu ganz speziellen Anlässen hervorholte. Er war sich schon seit längerem bewußt, daß das Aufleuchten und die Veränderung seines Gesichts die Linien von der Nase zum Mund vertiefen würden. Jetzt rief er in einer Weise: »Liebling«, die mehr wie eine Anweisung denn wie ein Kosewort klang.
Gehorsam kam Kitty zum Himmelbett und blieb an seiner Seite stehen. Esslyn machte eine Geste nach oben mit der flachen Hand, und seine Frau zog sich das Nachthemd über den Kopf und ließ es zu dem kalten, himbeerfarbenen Gekräusel aus Satin rings um ihre Füße sinken. Esslyns Blick glitt über ihre mageren, fast knabenhaften Oberschenkel, die Hüften und kleinen Apfelbrüste, und seine Lippen signalisierten Befriedigung. (Rosa hatte es sich in den letzten Jahren ihrer Ehe erlaubt, auf eine groteske Art fett zu werden.) Esslyn fummelte mit einer Hand an der Kordel seiner Schlafanzughose herum, und mit der anderen klopfte er auf das Kissen seiner Frau.
»Komm, Kitty.«
Sie faßte sich angenehm an. Fest, jung und stark. Sie roch nach Geißblatt und dem dubiosen Weißwein, den sie im Vereinsraum verkauften. Sie war eher süß unterwürfig als frech aktiv, was, so fand jedenfalls Esslyn, auch genau das Richtige war. Und, um ihre Persönlichkeit perfekt abzurunden, sie konnte nicht für einen Groschen Theater spielen.
Sein letzter Gedanke rief die Probe zu Amadeus in seinem Kopf wach, und als Esslyn begann, sich heftiger in seiner Frau zu bewegen, dachte er über seine jüngste Rolle im Latimer nach. Es war schon eine Herausforderung (Salieri war immer auf der Bühne), aber ihn beschlich zunehmend das Gefühl, daß das Spielen allein nicht mehr genug war. Es war schon mal die Rede davon, daß er doch auch versuchen sollte, Regie zu führen, und in der Tat reizte Esslyn diese Idee. Er hatte vor langer Zeit einmal eine Biographie von Henry Irving gelesen und sich selbst in einem langen schwarzen Mantel mit Astrachankragen
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