Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
darüber unterhalten haben. Er nahm an, daß das Ganze auch dann rausgekommen wäre, wenn die Everards ihre Mäuler gehalten hätten. War Kitty bloß eine gelangweilte junge Frau, die nur einfach so fremdging?, rätselte er. Oder war sie vielmehr eine berechnende Harpyie, die sich einen finanziell gutgestellten älteren Mann geangelt hatte und ihn dann loswerden wollte? War das Entfernen des Klebebands ein impulsiver Akt gewesen? Oder war er schon seit einiger Zeit geplant? Wenn dem so sein sollte, sinnierte Barnaby, wieso sollte es dann ausgerechnet bei der Premiere stattfinden? Ihm wurde bewußt, daß sich Kitty in ihrem Stuhl vorgebeugt hatte.
»Sie wollen das doch nicht etwa mir unterschieben, Tom«, bemerkte sie mit Nachdruck.
»Ich habe überhaupt nicht vor, es irgend jemandem >unterzuschieben<, Kitty. Aber ich habe vor, die Wahrheit herauszufinden. Also seien Sie gewarnt.«
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Ich habe nichts zu verbergen.« Ihre Wangen wurden jedoch plötzlich sehr rot, und sie konnte ihn nicht mehr ansehen.
»Dann haben Sie auch nichts zu befürchten.«
Nach einer langen Pause, in der sich Kitty wieder soweit sammelte, daß sie einen zweiten Schlafzimmerblick in Troys Richtung werfen konnte, stand sie auf und sagte: »Nun, wenn das alles ist... eine Frau in anderen Umständen sollte zu dieser Tageszeit schon seit Stunden in ihrem einsamen Bett liegen.«
»Das ist vielleicht ein Mädchen«, stöhnte Barnaby, als er die Tür hinter ihr geschlossen hatte.
»Für einen Gin Tonic ist die für jeden zu haben«, murmelte der Sergeant und prägte sich hoffnungsvoll Kittys Telefonnummer ein, die er über ihrer Aussage vermerkt hatte. »Vielleicht haben sie es gemeinsam ausgeheckt. Sie und ihr Liebhaber.«
»Der Gedanke war mir auch schon gekommen.«
Troy überflog seine Notizen, und dann fragte er: »Was jetzt, Sir?«
Barnaby stand auf und nahm seinen Mantel. »Machen wir uns mal auf die Suche nach dem großen weißen Boß.«
Barnaby hatte kaum einen Fuß in die Werkstatt gesetzt, als Harold wutentbrannt und wie ein Windhund auf ihn zusprang. »Da sind Sie ja!« schrie er, als hätte er es mit aufsässigen Kindern zu tun. »Wie können Sie es wagen, mich warten zu lassen, während Sie einen nach dem anderen von der Truppe verhören? Sie kennen doch meine Position hier gut genug. Wie soll ich denn das Ensemble weiter unter Kontrolle halten, wenn alle sehen, wie ich permanent übergangen werde wie... wie ein kleiner Balljunge!«
»Tut mir leid, daß wir Sie aufgeregt haben, Harold«, erwiderte Barnaby seelenruhig. »Bitte... setzen Sie sich.« Er zeigte auf einen rustikalen Trägerbalken, in den staubige blaue Papierrosen gesteckt waren. Widerstrebend und wütend setzte sich Harold.
»Sehen Sie«, fuhr der Chefinspektor fort, »jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Manchmal ergänzen, manchmal widersprechen sie sich, aber was ich letztendlich brauche, ist der Blickwinkel von jemandem, der die Gruppe durch und durch kennt. Einer, der scharfsinnig, intelligent und aufmerksam ist und mir dabei helfen kann, all meine Informationen zusammenzufügen und vielleicht eine Struktur zu erkennen, die dieser ganzen schrecklichen Affäre zugrunde liegt. Deshalb habe ich Sie bis zuletzt hierbehalten.« Er sah Harold besorgt an. »Ich dachte, Sie hätten das verstanden.«
»...Nun... natürlich, Tom... ich dachte mir schon, daß so etwas dahintersteckt... aber ich hätte einfach einen diskreten Hinweis erwartet, um informiert zu sein.«
Barnaby blickte zutiefst beschämt drein. Troy, der neben Harold auf einem Liegestuhl saß (oder besser gesagt, lag), beobachtete das Ganze mit zunehmendem Gefallen. Man konnte fast hören, wie Dampf aus dem Kerl entwich und beobachten, wie Wohlgefallen sich breitmachte. Als nächstes würde die Selbstgefälligkeit kommen, der fruchtbarste Boden, um Enthüllungen voranzutreiben (und nicht etwa, wie allgemein angenommen wurde, Angst oder Zorn). Troy versuchte, seinem Chef in die Augen zu sehen, um ihm mit Blicken zu signalisieren, wie sehr er diese Taktik zu schätzen wußte, aber er hatte keinen Erfolg. Barnaby war zu konzentriert.
Schauspieler, dachte der Sergeant mit dem Anflug eines herablassenden Lächelns. Man mußte schon früher aufstehen, wenn man es mit dem Chefinspektor aufnehmen wollte. Er konnte so viele Ausdrucksformen auf sein Gesicht zaubern und seiner Stimme derart viele Tonlagen
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