Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
zierliche Gestalt in einem Satinunterhöschen, die auf der Bettkante saß und die Wand anstarrte.
Felicity war völlig durcheinander und fühlte sich höchst eigenartig. Sie versuchte, ihren Geisteszustand zu erfassen. Wenigstens ein Gefühl aus den vielen anderen herauszufiltern, isoliert zu betrachten, zu orten. Kaum hatte sie eine Regung sondiert, wurde sie von einem halben Dutzend anderer hinfortgetragen. Sie hatte den Eindruck, schon vor Ewigkeiten auf Manor House eingetroffen zu sein. Erst bei Morgengrauen hatte sie die Augen geschlossen, und das auch nur aus einem unbestimmten Pflichtgefühl heraus, was zweifellos zu ihrem geistigen Chaos beitrug.
Anfänglich hatten die außergewöhnlichen und beängstigenden Ereignisse vom vergangenen Abend sie überhaupt nicht » berührt. Einerseits war ihr alles sehr fröhlich und klar und interessant vorgekommen, auf der anderen Seite aber auch irgendwie irreal, als hätte sich alles auf einer weit entfernten Bühne abgespielt. Oder hinter einer dicken Panzerglasscheibe. (Ehe sie sich in den Solar begeben hatte, hatte sie sich in der Toilette im Erdgeschoß eine dritte Line genehmigt.) Kurz nach dem Eintreffen der Polizei, hatte die Wirkung der Droge nachgelassen. Furcht, Besorgnis und das ganze Durcheinander stürmten auf sie ein und rissen ihr den Boden unter den Füßen weg. Langsam dämmerte ihr, daß sie irgendwie in schreckliche Ereignisse verwickelt war und lächerlich aussah, weil sie Danton erlaubt hatte, aus ihr eine Jahrmarktsnummer zu machen - ein Privileg, für das sie auch noch einen gehörigen Batzen hatte bezahlen müssen. Das Knarzen der Tür ließ sie hochfahren. . Voller Entsetzen starrte sie May an, an die sie sich nicht erinnerte.
May brachte eine Tasse mit dampfendem Tee. In einem besonderen Schränkchen wurden Besucherrationen (Earl-Grey-Teebeutel, Kaffeebohnen und andere dekadente Köstlichkeiten) aufbewahrt. Sie hatte ein paar Tropfen Edelsteinelixier zugegeben, um Felicitys Genesung zu beschleunigen. May stellte die Tasse auf dem Nachtschränkchen ab, setzte sich und nahm Felicitys Hand.
Felicity sah erbärmlich aus. Ihr Gesicht war mit farbenfrohen Klecksen übersät, als sei ein Kind mit einer Packung Buntstifte darüber hergefallen. Die üppige Verwendung von Haarschaum, Spray und Gel hatte ihr Haar in eine leblose, verfilzte Masse verwandelt. May streichelte Felicitys Hand, lächelte • ihr aufmunternd zu und drängte sie nach einer Weile, einen Schluck Tee zu trinken.
Felicity kam der Aufforderung nach, doch ihre Lippen bebten so stark, daß die Zähne gegen den Tassenrand schlugen und sie etwas Flüssigkeit verschüttete. Wieder hielt May die Hand der anderen Frau. Mehr fiel ihr angesichts ihrer eigenen Trauer und dem Gefühlschaos, dem Felicity ausgeliefert war, im Augenblick nicht ein. Sanft, behutsam, so mußte sie vorgehen. Hier war ein großes Maß an Hilfe und Unterstützung notwendig. Das schloß May aus Felicitys unharmonischer Aura. Einer der schlimmsten Fälle, mit denen sie je konfrontiert gewesen war.
Etwas später näherte sich May dem offenen Schweinslederkoffer. In der Absicht, Felicity ein Bad nehmen zu lassen, suchte sie nach frischer Unterwäsche und fand einen großen pinkfarbenen und goldenen Cremetiegel. Mit langsamen, rhythmischen Bewegungen reinigte sie damit Felicitys Gesicht. Nach dem dritten Versuch quoll der Abfallkorb von benutzten Gesichtstüchern über, und Felicitys eigentliche Gesichtsfarbe, ein ebenmäßiges Elfenbeinweiß, kam zum Vorschein.
May ging kurz in ihr eigenes Zimmer, kramte das untere Fach ihres Kleiderschranks durch und fand ein nachtblaues Gewand. (Es gab keine andere Farbe, die den Geist mehr erfrischte.) Außerdem schnappte sie sich noch eine Tube Malvenshampoo und ein weiches Handtuch und kehrte zu Felicity zurück, um ihr die Haare zu waschen.
Dies stellte sich als wesentlich komplizierter heraus als die Reinigung des Gesichts. Felicity beugte sich zwar fügsam über das Becken, hielt ganz still und drückte einen Waschlappen auf die Augen, die Probleme fingen aber damit an, daß sie eine Menge Haare hatte. Das ganze Waschbecken war voll davon. May glaubte, mit einer Löwenmähne zu kämpfen. Die Haarmenge war - wie sich nach dem zweiten Ausspülen herausstellte - einem riesigen Haarbüschel zuzuschreiben, das May überraschenderweise in der Hand hielt. Anfänglich reagierte sie schockiert (hatte sie es hier mit einer starken Malvenallergie zu tun?),
Weitere Kostenlose Bücher