Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
später.
»Soll ich uns Tee kochen?«
»Tee?« Die Vorstellung, die alte Hexe noch länger ertragen zu müssen, erfüllte Laura mit blankem Entsetzen.
»Danke, das wäre lieb.«
Honoria füllte Wasser in den Kessel und holte eine Packung Milch aus dem Kühlschrank. Die Teekanne, ein hübsches Stück mit blauem Blumenmuster, stand zu ihrer Erleichterung auf der Theke bereit. Sie haßte es, fremde Schränke und Schubladen öffnen zu müssen. Eine Silberdose enthielt Aufgußbeutel der Sorte Earl Grey
»Haben Sie Kek...«
»Nein.« Lauras Trauer war in Gereiztheit umgeschlagen. »Ich esse sie immer gleich auf. Deshalb kaufe ich erst gar keine mehr.«
»Verstehe.« Honoria konnte dieses weitere Beispiel von Unbeherrschtheit kaum noch überraschen. »Was für eine hübsche Kanne«, fügte sie hinzu, während sie den Tee ziehen ließ. »Stammt wohl aus Ihrem Laden, wie?«
Laura putzte sich erneut geräuschvoll die Nase. Dann trank sie gierig einen Schluck Tee. Sie hatte seit dem Abendessen am Vortag nichts mehr zu sich genommen.
Tee, das Allheilmittel der Engländer, dachte Laura. Ob Unfall, Bankrott oder Todesfall, nach dem ersten Schock genehmigte man sich erst einmal eine Tasse Tee.
Sie nippte erneut an der aromatisch dampfenden Flüssigkeit. Diese Hinterlist! Diese Gemeinheit! Diese falsche Rechtschaffenheit! Spielt den trauernden Witwer, der sich seinem Schmerz in Würde und Abgeschiedenheit hingab, sich jeden Trost von außen verbat. Sein ganzes Leben war eine Lüge. Laura pfefferte klirrend ihre Tasse auf den Untersetzer.
Honoria saß ihr mit durchgedrücktem Rücken gegenüber, faßte ihre Handtasche auf dem Schoß fester und hielt sie wie ein Schutzschild vor sich. Um dem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu machen, erinnerte sie Laura an den Grund ihres Kommens. »Natürlich ist das jetzt nicht mehr wichtig«, fügte sie hinzu. »Wir verschieben das auf ein anderes Mal.«
»Oh, nicht nötig!« Laura sprang mit wenig schmeichelhafter Hast auf. »Ich hole nur schnell den Katalog.«
Laura rannte kopflos in den ersten Stock, als ihr einfiel, daß sie den Katalog am Vorabend im Wohnzimmer durchgeblättert hatte. Sie fand ihn dort im Zeitschriftenregal.
»Ich habe die Seiten angestrichen, die Sie interessieren könnten«, erklärte Laura bei der Rückkehr in die Küche. »Sie können ihn vorerst behalten. Die Auktion findet erst in sechs Wochen statt.« Sie machte eine Pause. »Honoria?«
Honoria wandte ruckartig den Kopf. Sie wirkte wie in Trance. Dann stand sie auf und nahm den Katalog entgegen, ohne Laura anzusehen. Ihr verkniffener Mund war nur noch ein dünner Strich. Sie hatte hektische Flecken auf den Wangen, und in ihren Augen loderte ein kaltes Feuer. Laura war erleichtert, als sich die Haustür hinter ihr geschlossen hatte. Sie erwartete kaum, daß bei der ganzen Aktion etwas für sie herausspringen würde. Honoria war viel zu geizig, um fünf Pfund, geschweige denn fünfhundert Pfund für eine Gartenfigur auszugeben.
Erst als Laura wieder am Küchentisch saß, unschlüssig ob sie weiter heulen oder sich frischen Tee kochen sollte, fiel ihr Blick auf das Foto. Eine gute halbe Stunde vor Honorias plötzlichem Erscheinen hatte sie es aus dem Silberrahmen auf ihrem Nachttisch gerissen und in den Papierkorb in der Küche geworfen. Dort lag es seither, nur unvollkommen bedeckt von einer nicht unerheblichen Menge quatschnasser Papiertaschentücher. Gerald war deutlich erkennbar, wie er da so durch den feuchten, weißen Zellstoff lächelte.
Hatte Honoria das Foto gesehen? Hatte sie es erkannt, ihre Schlüsse daraus gezogen und den Grund ihres Kummers erraten? Laura ärgerte sich maßlos über ihre Nachlässigkeit. Warum hatte sie das Foto im Papierkorb nur vergessen? Und sie ärgerte sich über Honoria, die einfach so hereingeschneit war; und über Gerald, weil er Gerald war. Wütend und angeekelt schüttete sie den Inhalt des Papierkorbs in den Küchenofen, wo er ein Raub der Flammen wurde, und bereute es umgehend und bitterlich.
Rex war bereit, sich an seine Arbeit zu setzen. Er hatte Müsli und Zwetschgen gründlich gekaut, seinen Hund dreimal um den Block geführt, fünfzig Atemübungen am offenen Fenster gemacht und sich die Hände gewaschen. Letzteres war von besonderer Bedeutung. Rex hatte nämlich einmal ein Fernsehinterview mit einem berühmten Bühnenautor gesehen, in dessen Verlauf der Mann gestanden hatte, seinen
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