Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
hatte. Es paßte wirklich gut. Sie räusperte sich. »Nie sah ich einen Mann, der mit so wehmütigem Blick...«
»Nicht!« Sarah hörte auf, sich vor und zurück zu wiegen, und ihre Füße knallten hart auf den gefliesten Boden. »Ich hasse dieses Gedicht.«
»Ah... tut mir leid.« Statt sich zu freuen, daß sie endlich Sarahs Emotionen geweckt hatte, war Avis verlegen und kam sich ungehobelt vor. Sie wollte gerade das Thema wechseln, als Sarah erneut sprach.
»Es gibt da ein Gemälde von van Gogh. Ein Gefängnishof mit meterhohen Mauern. Fast kreisförmig, wie ein Turm. Die Männer trotten mit gesenkten Köpfen immer rund herum. Alles ist grau und trostlos. Doch dann entdeckt man ganz am oberen Rand des Bildes und so klein, daß man ihn fast übersehen hätte, einen Schmetterling.«
»Ich glaube, ich weiß, welches Sie meinen«, log Avis.
»Hängt das nicht in der National Gallery?«
»Ich würde bestimmt verrückt, wenn ich den Himmel nicht sehen könnte.«
»Nun, ich glaube, da brauchen Sie sich keine großen Sorgen zu machen.« Ein munteres Lachen, das nicht so ganz gelang. »Er wird ja nicht plötzlich verschwinden. Das wäre ja auch gar nicht möglich«, fuhr sie stammelnd fort. »Ist ja eigentlich nur Leere. Aber... sehr, ähm, schön.«
»Ja. Man kann verstehen, weshalb Leute, die an einen Himmel glauben, meinen, er wäre da oben.«
Avis, erleichtert etwas zu tun zu haben, widmete sich ganz der Kaffeezubereitung. Aus gegebenem Anlaß nahm sie Kaffeebohnen aus dem Gefrierschrank. Die waren eigentlich für den Sonntagmorgen bestimmt, wenn Dr. Jim, wie alle im Dorf einschließlich seiner Frau ihn nannten, seinen Frühstückskaffee wirklich genießen konnte, statt ihn bloß runterzukippen und loszulaufen. Ohne genau zu wissen warum, schob Avis die Dose mit dem Maxwell-House-Kaffee hinter die Küchenmaschine, bevor sie die elektrische Kaffeemühle herausnahm.
»Die macht leider einen ziemlichen Krach«, brüllte sie, um das schrille Kreischen zu übertönen. Das hätte sie wohl besser gesagt, bevor sie die Maschine anschaltete, doch die ganze Situation, die eigentlich nichts Besonderes war, hatte sie durcheinandergebracht. Nicht daß Sarah irgendwie abfällig reagiert hätte. Tatsächlich hatte man noch nie gehört, daß sie auch nur entfernt ein unfreundliches Wort über irgendwen geäußert hätte. Das lag nicht daran, daß sie kein Interesse an den Leuten hatte - ganz im Gegenteil. Sarah schien sich in einer Weise auf denjenigen, mit dem sie gerade zusammen war, und ihre gemeinsame Umgebung zu konzentrieren, wie Avis das noch nie erlebt hatte. Wenn sie einmal jemandem ihre Aufmerksamkeit schenkte, tat sie das mit einer Intensität, die bemerkenswert war. Doch sie hatte immer etwas zutiefst unpersönliches an sich, obwohl sie auch nicht völlig ohne Wärme war.
Avis’ Gatte, der alles andere als ein geistreicher Mensch war, hatte mal gesagt, mit Sarah zusammenzusein sei, als stünde man vor einem Spiegel, so präzise würde man beobachtet. Avis kam es eher so vor, als würde man durch die Linse einer Kamera betrachtet.
Während sie den Filterstab der Cafetiere herunterdrückte, fragte sie: »Möchten Sie Milch oder Sahne, Sarah?«
»Milch, bitte.«
»Auch Zucker?«
»Nein danke.«
Avis nahm ihre besten Tassen aus dem Schrank. Sarah hatte sich mittlerweile an den alten Holztisch unterm Fenster gesetzt, wo sie die Eier aus dem grauen Karton nahm und in eine blau und weiß getupfte Schüssel legte. Plötzlich hielt sie inne und betrachtete ein hellbraunes gesprenkeltes Ei in ihrer Hand. Eine kleine Feder klebte noch daran, und die dunkleren Punkte fühlten sich rauh an auf ihrer Haut.
»Sind sie nicht wunderschön?« Sie legte das letzte Ei vorsichtig auf die anderen. »Ich schau sie mir gerne an. Ist mir ein Rätsel, wie man sie in den Kühlschrank legen kann.«
»Mir auch«, stimmte Avis zu und schwor sich insgeheim, es von nun an nie mehr zu tun.
»Abgesehen von allem anderen werden sie so hart, daß die Schale platzt, wenn man sie kocht.«
»Tatsächlich?« Avis schenkte den Kaffee ein. Es war zwar nur die einfache Sorte von Sainsbury’s, aber er hatte einen wunderbar öligen Glanz und verbreitete einen herrlichen Duft. »Möchten Sie was dazu? Einen Keks oder ein Stückchen Kuchen?«
Sarah sagte noch einmal »Nein danke« und lächelte vage. Sie machte sich nicht die Mühe zu erklären, warum sie nichts
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