Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
möglichst viel Geklapper hoch, dann untersuchte er den Kosmetikschrank, das Medizinschränkchen und die Gefäße und Flaschen, die auf dem Badewannenrand standen. Dabei schlug er sich innerlich für seine spontane Eingebung lobend auf die Schulter. Durch lautes Husten zeigte er an, daß er immer noch drinnen war, und drehte den Warmwasserhahn auf. In dem Moment klingelte das Telefon. Es wurde sofort abgehoben.
Perrot ergriff seine Chance. Behend und leise trat er ins Schlafzimmer, öffnete und schloß Schubladen und sah in einen großen, weißen Einbaukleiderschrank, der mit Gold verziert war. Schließlich ging er ins Bad zurück, betätigte die Toilettenspülung und drehte den Hahn zu.
Auf halber Höhe der Treppe blieb er stehen und versuchte mitzuhören, was Hollingsworth am Telefon sagte. Leider war das durch den Lärm der Leitungen und des Spülkastens recht schwierig. Doch obwohl Hollingsworth leise sprach, wurde seine Stimme an einem Punkt sehr wütend, und er fauchte fast in den Hörer.
»Was für ein Problem? Um Himmels willen, Blakeley. Nein, das reicht nicht! Ich brauche alles. Ich habe Ihnen doch gesagt...« Es folgten weitere Laute stiller Verzweiflung, bevor der Hörer erstaunlich leise aufgelegt wurde.
Perrot nahm an, daß Hollingsworth sich plötzlich daran erinnert hatte, daß sich noch jemand im Haus befand, und jetzt wollte er vielleicht törichterweise so tun, als hätte das Gespräch nie stattgefunden. Mit reichlich unnötigem Lärm lief Perrot die letzten sechs Stufen hinunter.
»Sehr freundlich von Ihnen, Sir.« Er sprach mit froher, übertrieben erleichterter Stimme. »Ich bin dann weg.«
Hollingsworth starrte ins Leere. Der Ausdruck in seinem Gesicht war erschreckend, die Haut straff über den Wangenknochen gespannt, die Augäpfel traten hervor. Seine zurückgeschobenen Lippen bildeten jene Grimasse wilden Schmerzes, die in grausamer Weise die Opfer von Katastrophen auf Zeitungsfotos so aussehen läßt, als würden sie vor Freude strahlen.
In der Diele zögerte PC Perrot noch einmal und fragte: »Kann ich irgendwas für Sie tun?« Erleichtert registrierte er, daß keine Antwort kam. Er wußte, er hätte darauf drängen sollen, Hollingsworth zu helfen, da dieser in einem wirklich üblen Zustand war. Doch mit der Entschuldigung, der Typ brauche einen Arzt, keinen Polizisten, verließ Perrot das Haus.
In seinem Bericht ließ er wie immer nichts aus. Jede Menge Fakten; Beschreibungen in fast Proustscher Detailliertheit. Seine Meinung über die Glaubwürdigkeit des Befragten. Ankunfts- und Abgangszeit auf die Minute korrekt. Das Ergebnis seiner Bemühungen, dessen war Perrot sich sicher, würde zu einer weiteren und strengeren Vernehmung von Alan Hollingsworth führen.
Leider vergingen achtundvierzig Stunden, bevor jemand auf den Bericht aufmerksam wurde, der die Befugnis hatte, die notwendige Vernehmung anzuordnen. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Besitzer von Nightingales in keinster Weise mehr in der Lage, irgendwem bei irgendwelchen Ermittlungen zu helfen.
Am nächsten Morgen um elf ging Sarah Lawson zu Avis Jennings, um ihre Eier zu holen. Die Frau des Arztes hatte einen Cousin mit einem kleinen Bauernhof in Badger’s Drift, wo er freilaufende Hühner und einige Enten hielt.
Sarah nahm die Einladung zum Kaffee an, was sehr ungewöhnlich war. Avis hatte sie schon oft gefragt, denn sie hielt Sarah für die interessanteste Person im Dorf und hätte sie gern näher kennengelernt. Doch meistens zahlte Sarah mit exakt abgezähltem Geld für die Eier und ging. Es schien, als betrachte sie selbst ein kurzes Gespräch, während Avis das Geld wechselte, als lästige Zeitverschwendung.
Doch heute hatte sie sich, wie Avis vermutete, durch die geschickten Worte, mit denen sie sie begrüßt hatte, locken lassen. »Sie werden nie erraten, was ich gerade gesehen hab!« Jetzt saß Sarah, sich sanft vor und zurück wiegend, neben dem eiskalten Herd in der Küche der Jennings. Wie üblich war sie in Blau gekleidet. Sie trug eine Weste mit pfauenblauen Seidenstickereien und einen langen, weiten Rock aus ausgebleichtem Jeansstoff. Dazu um den Hals eine Kette aus Kornblumen, so wie sie Kinder aus Gänseblümchen machen.
»Es ist wirklich nicht schwer festzustellen, was Ihre Lieblingsfarbe ist«, sagte Avis und überlegte sich, ob sie eine der wenigen Zeilen aus einem Gedicht von Oscar Wilde zitieren sollte, das sie noch von der Schule in Erinnerung
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