Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Erscheinen immer hervorrief.
»Wenn doch nur« war der Kernpunkt ihres qualvollen Räsonierens gewesen. Wenn sie doch nur nicht genau in jenem Moment hinausgeschaut hätte. Wenn er doch nicht ausgerechnet dann nach oben gesehen hätte. Mittlerweile, das hieß gerade mal zwei Tage danach, hatten diese fieberhaften Überlegungen den Zwischenfall zu einer Tragödie von sophokleischem Ausmaß gesteigert.
Das Unerträgliche zu ertragen hatte sie fast bis an den Rand völliger Erschöpfung gebracht. Sie hatte nicht mehr geschlafen, und obwohl sie so müde war, daß sie kaum geradeaus gucken konnte, wußte sie jetzt schon, daß sie auch in der kommenden Nacht nur mit Unterbrechungen, wenn überhaupt, würde schlafen können.
Da ihr in gewisser Weise bewußt war, daß sie sich lächerlich verhielt, hatte Brenda versucht, den Zwischenfall aus der Sicht eines Außenstehenden zu betrachten, um sich klar zu machen, wie trivial das alles war. Aber ihre Bemühungen hatten die Sache anscheinend noch schlimmer gemacht. Wie ein Schwimmer, der gegen eine starke Strömung ankämpft, war sie in einen immer tieferen Strudel geraten. Ihr war plötzlich klar, daß sie die Sache zwischen ihnen beiden richtigstellen mußte, sonst würde diese furchtbare Qual nicht aufhören, und sie würde ernsthaft krank werden.
Brenda stand rasch auf, bevor ihr die Angst die Glieder lähmen würde, eilte in den Flur und schnappte sich ihre Schlüssel und den Mantel. Die Frage ihrer Mutter »Wo gehst du denn hin?« würgte sie ab, indem sie die Tür zuknallte.
Brenda lief über den Pfad vorm Haus nach nebenan zu dem großen schwarz-goldenen Tor von Nightingales und riß es auf. Sie durfte nur nicht aufhören zu denken. Eröffnungsphrasen - ich kann gar nicht sagen, wie leid es mir tut. Was müssen Sie bloß denken. Ich könnte nicht ertragen, wenn - drängten sich in ihr Bewußtsein, zerplatzten wie Seifenblasen und wurden sofort durch neue ersetzt.
So bestärkt schaffte Brenda es bis zur Haustür. Um zu verhindern, daß sie doch noch in verzweifelte Tränen ausbrach, klopfte sie sehr laut.
Die Tür wurde sofort geöffnet. Alan Hollingsworth kam mit energischen Schritten heraus. Einen furchtbaren Augenblick lang glaubte Brenda, er würde sie von der Treppe stoßen. Oder sie sogar niederschlagen. Doch er knallte einfach die Tür hinter sich zu und ging zur Garage.
So abwegig der Gedanke auch sein mochte, Brenda war sofort davon überzeugt, er hätte sie nicht wahrgenommen. Seine Augen schienen auf einen fernen Punkt oder Gegenstand fixiert. Er schien sich wie in Trance zu bewegen. Sein Gesicht war gespenstisch - gräulich weiß mit kleinen Schnitten an Wangen und Kinn. An einigen klebten noch Watteflusen mit Blut. Seine Bewegungen waren mechanisch und wirkten angestrengt.
Entsetzt beobachtete Brenda, wie das Auto aus der Garage zurücksetzte. Er würde doch wohl nicht in diesem zombieartigen Zustand fahren. Er könnte einen Unfall haben und jemanden umbringen. Oder noch viel, viel schlimmer - sich selbst!
Sie lief über den Kies und rief: »Warten Sie!« Doch das Auto fuhr'bereits rückwärts in die Einfahrt. Brenda winkte heftig mit den Armen und schwenkte sie hin und her, als ob sie einem Flugzeug Signale geben wollte.
Jetzt wendete der Wagen. Sie sah, wie sich Alans Schulter senkte, als er sich hinunterbeugte, um den Gang zu wechseln. Sie raste zu The Larches zurück - zum Glück hatte sie den Schlüssel in der Tasche - und warf sich in den Metro. Der Motor sprang gleich beim ersten Mal an. Brenda bemerkte kurz die verblüfften Gesichter ihrer Eltern am Küchenfenster, während sie einen Torpfosten schrammte. Dann bog sie auf die kleine Straße und war fort.
An der T-förmigen Kreuzung, wo die St. Chad’s Lane auf die Hauptstraße mündete, hielt Brenda an und blickte besorgt in beide Richtungen. Ein Stück weiter wurde die Straße, die nach rechts aus Fawcett Green hinausführte, repariert. Deshalb hatte man eine Ampelanlage aufgestellt. Sie zeigte Rot. Zwei Autos warteten davor, keines davon war das von Alan.
Mit einem Stoßgebet, daß er nicht doch noch bei Grün durchgekommen war, bog Brenda nach links und trat das Gaspedal durch. Obwohl sie normalerweise eine ängstliche und vorschriftsmäßige Fahrerin war, zeigte die Tachonadel schon auf fünfzig Meilen, während sie noch im Dorf war, und auf sechzig, sobald sie die offene Straße erreichte. Innerhalb weniger Minuten hatte sie den
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