Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
stark behaarten Beine waren nackt. Auf dem Kopf hatte sie eine dieser Baumwollhauben, wie Milchmädchen sie in Musicals tragen, dazu eine breite, weiße Halskrause, wie man sie bei Adeligen auf Porträts von Holbein sieht. Sie bewegte sich tänzelnd, wie das manchmal Schauspieler in viktorianischen Dramen im Fernsehen tun, als hätten sie unsichtbare Rollschuhe an den Füßen.
Ziemlich verrückt, dachte Sergeant Troy, der für Exzentrik nicht viel übrig hatte.
»Bitte sehr, die Herren.« Sie setzte sich mit gönnerhafter Miene hinter die Kasse, als ob sie ihren Kunden einen außergewöhnlichen Gefallen erweisen würde. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
Troy, der sich so hingestellt hatte, daß sie den zerfließenden Käse nicht sehen konnte, sagte: »Vierzig Rothmans, bitte.«
»Sir Walters Freund?« Sie nahm die Zigaretten aus dem Regal. »Die besten aus Virginia.«
»Danke.« Troy konnte es nicht lassen, sie anzustarren. Da er zu ungünstig stand, um sofort zu zahlen, schaute er sich mit vorgetäuschtem Interesse um. »Ungewöhnlicher Laden.«
»Sie sind ein Bewunderer der Tudor-Epoche?«
»Natürlich«, stimmte der Sergeant begeistert zu. Erfolglos versuchte er, sich an irgendwas über diese Zeit zu erinnern, und entschied sich dann für: »War schon mal in Windsor Castle.«
»Aber das ist doch uralt. Wohl kaum 16. Jahrhundert.«
»Ach wirklich?« Troy wechselte das Thema. »Schöner Tag heute.«
»Zufällig ja. Das macht zwei fünfundneunzig, bitte.«
Der Sergeant sah sich nach seinem Chef um, der gerade einen Apfel am Ärmel blank rieb und die Theke mit den kalten Getränken inspizierte.
»Sie wundern sich sicher über meine Aufmachung?«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Sergeant Troy zu.
»Ich muß gleich vor der Frauenvereinigung einen Vortrag über die Käseherstellung im Elisabethanischen Zeitalter halten, deshalb die Kostümierung. Wenn Sie sich umdrehen, sehen Sie meine Proben.«
Ihre Worte klangen fröhlich und selbstbewußt. Irgendwie rührend, dachte Troy, als er pflichtschuldigst hinter sich blickte. Die Käsemasse war fast völlig von dem Strohuntersetzer aufgesaugt worden. In der Hoffnung, daß sie nicht genau sehen konnte, was er machte, drehte der Sergeant der Frau den Rücken zu und stellte die Zinnform wieder an ihren ursprünglichen Platz.
»Vorsicht!« rief Mrs. Boast. »Nicht anfassen. Die sind vielleicht noch nicht ganz fest.«
»Tschuldigung.« Überzeugt, daß ihm nun nichts mehr passieren konnte, schlenderte Troy lächelnd an die Theke, um seine Zigaretten zu bezahlen. »Machen Sie häufig solche Sachen?«
»O ja. In Schulen, Vereinen und Heimen. Meine Spezialität sind Rezepte zur Vorratshaltung, Backen und Molkereiprodukte. Mein Männe hält Vorträge über Fahnenschwingen und mittelalterliche Rüstungen.«
»Tatsächlich?«
»Am Wochenende kämpfen wir.«
Du kannst mir viel erzählen, dachte Sergeant Troy.
»Bei der Bürgerkriegsgesellschaft. Ich könnte Ihnen genauere Informationen geben.«
Das blieb Troy glücklicherweise erspart, denn sein Chef legte gerade eine Klarsichtpackung Cerry Genoa, einen Apfel und einen Lion-Riegel auf die Theke und fragte, ob es wohl so etwas wie eine Büchse Seven-Up gäbe.
»Bei Ostlers sagen wir >Dose<«, schalt ihn Mrs. Boast. »Das ist so eine Marotte von uns. Ein bißchen Disziplin, um das traditionelle Englisch zu bewahren.«
»Haben Sie eine Dose Seven-Up?« fragte der Chief Inspector höflich.
»Führen wir nicht.«
Barnaby stellte eine Cola Light zu seinen Einkäufen und schob eine Zehn-Pfund-Note auf die Theke. Mrs. Boast, die zweifellos schon in ihre Rolle geschlüpft war und nur noch in Dublonen rechnete, schaute ganz konsterniert.
»Haben Sie’s nicht kleiner?«
»Ich hab noch ein bißchen Kleingeld, Chef.«
Während sein Sergeant bezahlte, zückte Barnaby seinen Dienstausweis und erklärte, weshalb sie im Dorf waren. Dann fragte er die Ladeninhaberin, was sie über die Hollingsworths wüßte.
Mrs. Boast reckte ihren Hals wie ein Hahn, dann ließ sie ihn wieder in ihre Halskrause sinken. Das war ab und zu nötig, weil die Halskrause ziemlich kratzte. Beim Anblick ihres Kopfes, der auf den weißen, gerüschten Falten ruhte, mußte Barnaby an diese religiösen Gemälde denken, auf denen am Ende eines Banketts auf einem Teller der Kopf eines Aufmüpfigen zusammen mit Obst und Nüssen
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