Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Stelle.
Barnaby zog eine Tür in dem luxuriösen Kosmetikschränkchen auf. Dahinter befanden sich mehrere Reihen Lippenstifte, die fein säuberlich aufgestellt waren. Obwohl ihm diese Zeitverschwendung bewußt war, konnte er dem Drang nicht widerstehen, sie zu zählen. Dreiundsiebzig. Du lieber Gott, dreiundsiebzig. Er dachte an die bescheidene Sammlung seiner Frau und fragte sich nicht mehr, was Simone Hollingsworth denn den ganzen Tag so machte. Dieses ganze Zeug zu testen, könnte sich schon als Lebensaufgabe erweisen.
Außerdem gab es dort etwa ein Dutzend Schachteln mit Parfüm. Eine war geöffnet, und der Zerstäuber stand am Waschbecken. Barnaby nahm an, daß sie dieses Parfüm benutzt hatte, bevor sie das Haus verließ. Er nahm ein Papiertaschentuch und sprühte etwas von dem Parfüm darauf. Es nannte sich Joy und hatte einen intensiven blumigen, eigentlich sehr angenehmen Duft. Der Chief Inspector nahm sich vor, seiner Frau eine Flasche davon zum Geburtstag, der in drei Wochen war, zu schenken und steckte das Papiertuch ein.
Er ging zurück ins Schlafzimmer und wandte sich dem großen, weißgoldenen Einbaukleiderschrank zu, der die gesamte Wand einnahm, und zog die erstbeste Tür auf. Troy kam herein und fing an zu schnuppern.
»Das gibt’s bestimmt nicht bei Superdrug.«
»Haben Sie Glück mit der Telefonrechnung gehabt?«
»Leider nein, Chef.«
»Macht nichts. Dann setzen wir uns mit British Telecom in Verbindung.«
»Unter welchem Vorwand?«
»Denken Sie sich irgendwas aus.«
Troy machte mehrere Vorschläge, gab sich aber rasch geschlagen. Er war nicht gerade mit einer übergroßen Improvisationsfähigkeit gesegnet. Meist beschränkte er sich darauf, irgendwelche altbewährten Strategien hervorzukramen, sie ein bißchen herumzuwirbeln wie Salatblätter in einer Schleuder und sie dann noch einmal anzuwenden.
Da er diesmal also passen mußte, stellte er sich neben seinen Chef, der gerade eine weitere Schranktür öffnete. Die Kugellager liefen wie geschmiert. Weich fallender Samt und Spitzen, fließender, glänzender Georgette, nüchternere Woll-, Leinen- und Tweedstoffe kamen zum Vorschein, verschwanden wieder und tauchten erneut auf. Barnaby durchsuchte systematisch alle Taschen. Die Sachen hingen so eng, daß man noch nicht einmal das Schnurrbarthaar einer Katze dazwischen bekommen hätte, geschweige denn eine Goldkarte von Harvey Nichols.
»Von der hätt ich auch gern ein Häppchen als Nachthupferl«, sagte Sergeant Troy, der inzwischen ebenfalls das Hochzeitsfoto entdeckt hatte. Als er auf diese kleine Schlüpfrigkeit keine Antwort erhielt, fügte er hinzu: »Wissen wir, ob sie mit diesem Riesenklunker am Finger abgehauen ist?«
»Noch nicht.«
»Könnte eine Erklärung sein, warum sonst nichts fehlt. Mit dem käme sie gut ins nächste Jahrhundert.«
»Sehen Sie doch bitte in den Handtaschen nach. Und dann in den Schuhen. Da könnte irgendwo was in der Spitze stecken.«
»Nur eine Sekunde.« Troy verschwand im Bad. Er benutzte die Toilette und brüllte dann, um die Spülung zu übertönen: «Ich wollt’s schon immer mal mit jemand im Whirlpool treiben.«
Barnaby arbeitete sich durch die erste der beiden Kommoden. Kaschmirpullover, alle in Pastellfarben, zarte Unterwäsche und Tücher sowie ein Paisley-Schal. Außerdem gab es Dutzende geöffneter Packungen mit hübsch geblümten Leggins, hellen Strumpfhosen und Strümpfen mit schwarzer oder cremefarbener Spitze. Nirgends fand er saubere, bereits benutzte Strümpfe. Vielleicht trug sie nie etwas zweimal. Er fand eine lederne Schmuckschatulle mit glitzerndem Modeschmuck, aber der Klunker war nicht dabei.
»Maureen hat mir erzählt«, sagte Troy, der gerade wieder hereinkam, »man könnte in den Dingern kommen, wenn man nur lange genug an der richtigen Stelle sitzt.« Er klang gleichzeitig skeptisch und verdrossen. Anscheinend gab es immer mehr Sachen, die Frauen ohne männliche Hilfe konnten. Es dauert nicht mehr lang, so fürchtete er, dann müssen wir unter Naturschutz gestellt werden, damit wir nicht wegen Mangel an Bedarf aussterben.
Mrs. Hollingsworth hatte offenkundig einen ähnlichen Faible für Schuhe wie Imelda Marcos. Troy fuhr mit den Fingern durch Riemchenschuhe mit schmalen Absätzen, bunte Slipper aus handschuhweichem Leder, Pumps, flache Wildlederschuhe mit feinen Goldkettchen um die Lasche und perlmuttfarbene mit Straß besetzte Abendsandalen.
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