Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
bewilligt worden, und man hatte Barnaby erklärt, man würde die Situation alle vierundzwanzig Stunden überprüfen. Morgen um diese Zeit könnte Jackson bereits wieder frei sein wie ein Vogel. Wenn das passiert, dachte Barnaby, dann werde ich einen aus meinem Team dahinstellen und niemandem was davon sagen.
»Also knöpfen wir uns den Kerl vor, Sir?«, fragte Charlie Agnew.
»Nein. Der käme wieder frei. Wir haben keine Handhabe, ihn festzuhalten.« Barnaby starrte grimmig durch sein Team hindurch auf die Rückwand mit der widerlichen Fotomontage, auf der die verstümmelten Überreste von Charlie Leathers zu sehen waren. »Wenn ich diesen Scheißkerl einbuchte, dann bleibt er auch drinnen.«
Louise bereitete sich zum Schlafengehen vor. Sie hatte bereits mehr als eine Stunde dafür gebraucht und hatte diese Prozedur noch um eine weitere Stunde ausdehnen können, da ohnehin alles völlig sinnlos war. Sie würde niemals einschlafen können. Genauso gut konnte sie da bleiben, wo sie war, zusammengekuschelt in der tiefen Kühle in der Mitte eines Ledersessels, in einen cremefarbenen Hausmantel aus Samt gehüllt. Dieser Sessel war ein perfektes Oval ohne Beine und ohne Lehnen, das an durchsichtigen Schnüren hing, die an einem Glasbalken im Dach des Hauses befestigt waren.
Sanft in dem Sessel hin und her zu schaukeln half ihr häufig, sich zu entspannen, und führte manchmal sogar eine traumartige Schläfrigkeit herbei. Aber heute Abend nicht. Heute Abend würde es eines genialen Apothekers oder eines noch nicht entdeckten Opiats bedürfen, um ihren gequälten Geist ein wenig zur Ruhe zu bringen.
Die Nachricht über Ann war schon schlimm genug gewesen. So etwas zu erfahren, sich die furchtbare Angst und die Schmerzen vorzustellen und zu begreifen, wie nahe sie dem Tode war - das war alles sehr schlimm. Aber die andere Sache ...
Als Val davon hörte, war er ebenfalls schockiert und zutiefst betroffen gewesen, dass so etwas passieren konnte. Doch im Laufe des Abends, nach einem Anruf aus dem Pfarrhaus, schlugen seine Gefühle in eine Mischung aus wilder Empörung und regelrechtem Zorn um.
»Allmächtiger Gott! Wann werden sie diesen armen Teufel endlich in Ruhe lassen?«
»Wovon redest du?«
»Von diesen verdammten Polizisten. Die setzen ihn so lange unter Druck, bis er es nicht mehr aushält.«
»Wen?« Natürlich wusste sie, wen.
»Dann wird er aus schierer Verzweiflung ausrasten. Vermutlich wieder kriminell werden. Und dann reiben sie sich ihre widerlichen Pfoten und stecken ihn wieder ins Gefängnis.«
Valentine starrte seine Schwester eindringlich an. Auch in seinem Gesicht zeigten sich Spuren schierer Verzweiflung.
»Armer Jax«, sagte Louise rasch. Beinahe hätte sie vergessen, welche Rolle sie gerade angefangen hatte zu spielen. »Was ist es diesmal?«
»Das Übliche. Die versuchen, ihm was anzuhängen, was er überhaupt nicht getan haben kann.«
»Doch nicht etwa ...« Louise hatte blind hinter sich nach einem Halt greifen müssen und eine Weile mit dem Arm in der Luft herumgefuchtelt, bevor sie mehr oder weniger in einen Sessel plumpste.
»Genau das, den Überfall auf Ann Lawrence. Sie haben sogar die Klamotten mitgenommen, die er anhatte, als es passiert ist.
»Oh, nein.« Ihr wurde ganz schwindlig. »Val, das kann nicht wahr sein.«
»Natürlich ist es nicht wahr. Er war den ganzen Tag im alten Pfarrhaus. Aber versuch mal, denen das klarzumachen.« Schließlich fiel ihm auf, wie entsetzlich bleich seine Schwester war. »Tut mir Leid, Lou. Ich bin ein egoistischer Mistkerl. Sie war doch deine Freundin, oder?«
»Ja.« Louise war sich dessen jetzt vollkommen sicher. Ann war ihre Freundin. Wie hatte sie je etwas anderes denken können?
»Ich hol dir einen Brandy.«
Louise erinnerte sich jetzt, dass sie den ganzen Brandy getrunken hatte. Ihn wie Wasser in sich hineingeschüttet hatte -und mit fast der gleichen Wirkung. Als der Schock soweit nachgelassen hatte, dass sie wieder gerade sehen konnte, hatte sie sich entschuldigt und war nach oben gegangen. Sie hatte gebadet, ihren immer noch zitternden Körper in den cremefarbenen Hausmantel gehüllt und sich dann endlos in unsäglicher Verzweiflung in dem Sessel gewiegt.
Sie könnte sich ja geirrt haben. Er war so schnell an ihr vorbeigerast. Ein Radfahrer ganz in Schwarz. Radlerhose, langärmliger schwarzer Pullover, Handschuhe und eine Strickmütze, die bis in
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