Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
die Stirn gezogen war und die Haare völlig bedeckte. Sie hatte - nur für eine Minute - auf einer doppelten gelben Linie vor der Bank geparkt und wollte gerade aussteigen. Hatte sogar die Tür schon ein wenig geöffnet, da die Straße hinter ihr frei schien. In diesem Augenblick tauchte er in ihrem Seitenspiegel auf. Erst weit weg, dann war er neben ihr, dann wieder verschwunden. Das Ganze hatte nicht viel mehr als eine Sekunde gedauert. Doch sie hatte sein Gesicht im Spiegel gesehen. Und erkannt.
Zumindest glaubte sie das. Aber Val hatte eben gesagt, Jax wäre den ganzen Tag im Pfarrhaus gewesen. Er wäre sogar selbst mit ihm zusammen gewesen, als die ungeheuerliche Tat passierte. Also musste sie sich geirrt haben. In ihrer Verzweiflung fing Louise, die aufgehört hatte, an den Allmächtigen zu glauben, als sie immer noch an den Weihnachtsmann glaubte, an zu beten. Und das leidenschaftlich, wenn auch ziemlich unbeholfen, weil sie nicht so recht wusste, was sie sagen sollte.
»Bitte, lieber Gott«, murmelte sie, »lass es ihn nicht gewesen sein.« Dann empfand sie das als zu vage und zwang sich, detaillierter zu werden. Sie nannte sogar seinen Namen und hatte das Gefühl, dass dieser wie eine Kröte auf ihrer Zunge hockte. »Ich meine, lass den Mann, den ich heute in Causton auf dem Fahrrad gesehen habe, nicht Jax gewesen sein.«
Es herrschte eine kalte Leere in ihrem Mund, und sie wusste, dass die Worte nutzlos waren. Was hatte das alles für einen Sinn? Louise kletterte aus dem Sessel, blieb mitten im Zimmer stehen und starrte durch das Dach auf den fast schwarzen Himmel, der mit funkelnden kalten Lichtpunkten übersät war. Wie konnte irgendwer oder irgendetwas überhaupt da oben existieren, geschweige denn auch nur das geringste Interesse an ihren verzweifelten Bitten haben?
Doch obwohl ihr klar war, dass das alles sinnlos und eine absolute Zeitverschwendung war, konnte sie sich eine letzte Bitte nicht verkneifen.
»Und bitte lieber Gott, bitte, schütze Val.«
Als Barnaby in die Arbury Crescent einbog, kam er sich vor wie Sisyphus, der endlich aufgegeben hat, den Felsblock zu schieben, zur Seite trat und zusah, wie der Fels hüpfend wieder den Berg hinunterrollte, während er selbst leichten Herzens zum Gipfel hinaufmarschierte.
Der Augenblick im Einsatzraum, als das Tonband mit dem Notruf von Ann Lawrence anlief, als klar wurde, dass er vermutlich die ganze Zeit einer völlig falschen Spur gefolgt war, hatte den DCI hart getroffen. Er wusste, dass er sich nach außen hin schnell wieder gefangen hatte. In so etwas war er gut, und das war auch wichtig. Entmutigung konnte sich nämlich in Windeseile wie eine Infektion ausbreiten. Doch es war ein falscher Eindruck gewesen, den er vermittelt hatte. In Wirklichkeit fühlte er sich ganz schön entmutigt.
Außerdem war er stark in Gefahr, den persönlichen Abstand zu dem Fall zu verlieren. Davor wurde zwar immer gewarnt, trotzdem kam es manchmal vor. In Fällen von grausamer Misshandlung oder Mord an einem Kind beispielsweise schafften es nur wenige Polizisten, vollkommen distanziert zu bleiben. Aber hier ging es nicht um den Tod eines Kindes. Hier ging es um den Tod eines ziemlich unangenehmen alten Mannes, der versucht hatte, jemanden zu erpressen.
Warum dann dieser Hass? Barnaby stellte entsetzt fest, dass das das richtige Wort war. Er hatte angefangen, Terry Jackson zu hassen. Sein fröhliches Lächeln und sein schamloses Auftreten zu hassen, seine Worte, die leicht wie ein Federgewichtler um einen herumtänzelten, ein gemeiner Hieb hier, eine Finte da - ein Scheinangriff, der den Angesprochenen wie einen Idioten dastehen ließ. Und genau in dem Augenblick folgte der wirkliche Angriff, ein blitzschneller, folgenschwerer Schlag auf den Solarplexus.
Hass entfachte auch der Gedanke an das Aussehen des Mannes, richtete sich gegen diesen schlanken, muskulösen, leicht gebräunten Körper und die leuchtendblauen Augen mit den merkwürdig goldenen Pupillen. Der einzige physische Makel in dieser apollinischen Perfektion waren, soweit Barnaby das erkennen konnte, die Zähne, die nie richtig gepflegt worden waren. Doch sobald Fainlight auf die Notwendigkeit einer kosmetischen Zahnbehandlung hingewiesen worden war, würde dieser Makel ganz sicher rasch beseitigt werden.
Barnaby riss sich von diesen Gedanken los. Im Gefängnis von Wormwood Scrubs gab es keine teuren Zahnärzte, die Zähne weißer machten, überkronten und
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